Die Holzhammer-Methode
Chiemsee gab es einen Stau, und die Zeichnerin verspätete sich. So saß Beate immer noch ungeduldig da, als bereits die nächste Verkäuferin auftauchte. Beide fühlten sich wichtig, und beide waren ungeduldig. Darin waren sich die beiden Konkurrentinnen einig, auch wenn sie sonst kein gutes Haar aneinander ließen.
«Wie stellen Sie sich das eigentlich vor, Herr Wachtmeister? Wir sitzen hier, und am See entgeht uns das Geschäft. Grad jetzt bei dem schönen Wetter, und in Brandenburg und Thüringen sind noch Sommerferien!», meckerte die Verkäuferin aus Leipzig.
«Die Ossis kaufen doch eh nichts, die schauen doch bloß», grantelte Beate, die Einheimische.
«So ein Blödsinn, ihr mit euren Vorurteilen.»
«Na gut, etwas kaufen sie schon. Sie müssen ja was heimbringen – zum Beweis, dass sie weg waren», gab Beate zurück.
Als Holzhammer bereits von vier wütenden Verkäuferinnen belagert wurde, die nach und nach eingetroffen waren, ging endlich die Tür auf, und die Phantombildnerin erschien, eine energische junge Dame mit Laptop. Der Hauptwachtmeister ließ sie und Beate an seinem Schreibtisch Platz nehmen und holte beiden Kaffee. «Wie lange wird es ungefähr dauern?», fragte er.
«Das kommt auf die Zeugin an», antwortete die Zeichnerin und warf einen abschätzenden Blick auf Beate, die im Dirndl erschienen war, ihrer verkaufsfördernden Arbeitskleidung.
«Also gut, ich schau in einer halben Stunde wieder rein», sagte Holzhammer und wandte sich zum Gehen.
«Vergessen Sie es, eine Fahndungsbildmontage dauert mindestens anderthalb Stunden. Die Software heißt zwar Phantom, aber Sie wollen ja am Ende etwas haben, mit dem Sie was anfangen können, oder? Und führen Sie die anderen Zeuginnen bitte erst mal nach draußen, damit sie keinen Einfluss nehmen.»
«Aber freilich», grummelte Holzhammer und zog mit den drei restlichen Verkäuferinnen ab. Eigentlich fehlte noch eine, fiel ihm dabei ein.
Draußen bemerkte er dann auch noch, dass er seine Brotzeit im Büro vergessen hatte, aber das war jetzt egal. Er hatte ja genug Zeit, zum Metzger mit dem Stehimbiss zu gehen. Was den angenehmen Nebeneffekt hatte, dass er dann nicht mit den drei Furien hier herumsitzen musste. An der Tür kam ihm Dr. Fischer entgegen, eine leichte Weißbierfahne von seinem «offiziellen Ortstermin» vor sich hertragend.
«Servus, Chef, ist der Umtrunk schon zu Ende?», fragte Holzhammer.
«Nun, ich wollte mal nach dem Rechten sehen. Wie weit sind wir denn?», sagte Fischer wichtig.
Wir ist gut, dachte Holzhammer. «Die Zeichnerin ist grad drin mit der Zeugin.»
«Phantombildnerin heißt das», korrigierte Fischer, sein erst kürzlich erworbenes Kriminalwissen anbringend.
«Von mir aus. Auf jeden Fall dauert es noch. Und dann lass ich die drei Grazien hier draufschauen.» Holzhammer wies auf die versammelte Verkäuferinnenschar.
«Na gut, dann läuft ja alles. Dann fahr ich wieder rüber», erklärte Fischer und ging wieder ab.
Holzhammer ließ ihm einen Vorsprung und verließ dann ebenfalls die Dienststelle. Er würde mal kurz nach seinem Beton schauen. Das ging sich locker aus, wenn die Zeichnerin wirklich neunzig Minuten brauchte. Und wozu hatte man ein Handy.
Als sie realisiert hatte, dass die Ärztin aus dem Frosch früher oder später die richtigen Schlüsse ziehen würde, hatte sie schnell handeln müssen. Sie war so gut wie entdeckt, und tief in ihrem Inneren hatte sie wahrscheinlich immer gewusst, dass es so kommen würde. Vielleicht hatte sie es sogar gewollt, hätte es eines Tages direkt herausgefordert. Denn was war schon eine Rache wert, die nicht als solche erkannt wurde. Wenn man ihr Haus durchsuchte, würde man den Brief finden, in dem alles stand. Sie stellte sich vor, wie er in der Zeitung abgedruckt werden würde. Wie es dann alle lesen könnten. Ob man die Büste ihres Vaters vom Rathausplatz entfernen würde?
Der Ort hatte von ihrem Vater das bekommen, was eigentlich ihr zugestanden hätte – Aufmerksamkeit und Zuwendung. Der Ort hatte ihre Kindheit bekommen. Und jetzt würde sie diesen Ort endlich doch noch verlassen. Ihre einzige Sorge galt den Katzen. Würde sich jemand um sie kümmern? Auf den Weg, den sie jetzt ging, konnte und wollte sie ihre Katzen nicht mitnehmen. Es war in Ordnung, dass jetzt alles entdeckt werden würde. Aber die Genugtuung, sie am Pranger durch den Ort zu führen, gönnte sie den Bütteln dieser Gemeinde nicht. Deshalb hatte sie die Frau außer Gefecht setzen müssen,
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