Die Holzhammer-Methode
schwindelig. Sie setzte sich aufs Bett, aber die Symptome verstärkten sich, sie musste die Augen schließen. Sie würde sich einen Moment hinlegen. Was war das nur?
Wenige Minuten später hörte sie, wie die Zimmertür geöffnet wurde. Ihre Wirtin kam herein und nahm – ohne Christine anzusehen – etwas vom Tisch. Dann ging sie wieder zur Tür, zog den Zimmerschlüssel ab und schloss die Tür von außen zu.
Christine wollte schreien. Sie wollte aufstehen und auf den Balkon rennen. Doch ihre Glieder waren taub. Sie konnte sich nicht bewegen. Sie war wach, aber ihre Muskeln gehorchten ihr nicht mehr. Der Schwindel ließ bald nach, ihr Kopf war völlig klar, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht rühren. Das musste doch ein Traum sein – ganz klar, es war noch Nacht, sie träumte das. Sie kannte solche Träume, in denen man wegrennen wollte und sich nicht rühren konnte. Andererseits: Sie hatte den Geschmack der Marmelade auf der Zunge, sie fühlte die Morgenkühle auf der Haut, sie roch das Reinigungsmittel, mit dem das Fremdenzimmer gewischt worden war, so viele verschiedene Sinneseindrücke hatte sie im Traum noch nie gehabt. Wenn das aber kein Traum war …
Der Frosch! Spätestens als ihre Wirtin in Panik den Frosch aufgehoben hatte, hätte Christine schalten müssen. Frau Schön war die Einheimische, die sich mit Pflanzen auskannte. Doch selbst wenn man genau wusste, welche Pflanzen tödlich waren, blieben große Unsicherheiten. Wie viel Gift enthielt die betreffende Pflanze genau? Und wie viel enthielt der Extrakt, den man daraus hergestellt hatte? Früher hatte man für solche Tests Frösche benutzt! Christines Langzeitgedächtnis funktionierte immer noch perfekt: Gerade bei Alkaloiden wie Digitalis und Aconitin hatten die Forscher noch Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit Fröschen experimentiert.
Deshalb war ihre Wirtin so erschrocken gewesen und losgesprintet wie eine Irre. Abgesehen davon, dass sie tatsächlich eine Irre war, hatte sie Angst um ihre geliebten Katzen gehabt. Angst, dass eine von ihnen sich an dem Tier vergiftete, das aller Wahrscheinlichkeit nach bis obenhin mit einem Alkaloid vollgepumpt war. Gleichzeitig war ihr wohl klar geworden, dass Christine früher oder später die richtigen Schlüsse ziehen würde. Und deshalb hatte sie ihr etwas ins Frühstück getan.
Würde sie sterben? Christine versuchte sich an die vergangenen Morde zu erinnern, an die Symptome der Opfer. Der Gleitschirmflieger war noch stundenlang putzmunter gewesen. Sonst wäre er ja gar nicht erst in die Luft gegangen. Überhaupt – der Gleitschirmflieger. Er war ebenfalls hier zu Gast gewesen. Wieso hatte man keinen Verdacht geschöpft? Warum hatte man nicht schon damals das ganze Haus auf den Kopf gestellt, sondern nur das Gästezimmer durchsucht? Natürlich, dachte Christine, weil es nicht den geringsten Hinweis auf ein Motiv gegeben hatte. Weil dem Freund des Toten nichts passiert war. Und weil der Mann nach Verlassen des Hauses zunächst noch gesund und fidel gewesen war. Man hatte ganz einfach noch nie gehört, dass ein Vermieter aus heiterem Himmel seine Gäste vergiftete. Auf so eine Idee kam man nicht. Und später hatte es diese schwarze Wirtin ja auch nicht wieder getan. Wahrscheinlich hatte sie an dem Mann etwas ausprobieren wollen, was mit Fröschen nicht so gut herauszufinden war. Zumindest hatte sie nach dem ersten Mord ihre Giftwahl geändert.
Und die anderen Opfer? Wie waren die Symptome bei denen, die dieses Murmeltierzeug mit Aconitin zu sich genommen hatten? Die waren alle sehr schnell gestorben. Wenn es bei Christine das Gleiche gewesen wäre, müsste sie in diesem Moment schon fast tot sein. Zumindest müsste sie sich in furchtbaren Krämpfen winden und schreckliche Schmerzen haben. Sie spürte jedoch gar nichts. Nach wie vor konnte sie sich nicht rühren. Komplette Muskellähmung. Aber die lebensnotwendigen Organe schienen zu funktionieren. Noch. Sie hatte keine Ahnung, welches Gift so etwas bewirken konnte. Sie hatte nur noch eine Hoffnung: Mittags um halb eins war sie mit Matthias verabredet.
Holzhammer hatte nicht nur Beate in die Polizeidienststelle bestellt, sondern auch gleich alle anderen Andenkenverkäuferinnen. Sie sollten sich das Phantombild anschauen, sobald es fertig war, um alle unnötigen Verzögerungen zu vermeiden. Wenn um zehn Beate und die Phantomzeichnerin kamen, hatte er sich gedacht, dann würde ja wohl eine halbe Stunde später das Bild fertig sein.
Aber am
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