Die Horde 1 - Der Daemon des Kriegers
gewöhnt hatten, sah er nur, was zu sehen er erwartet hatte. Ein schwarzes Tuch über einer großen Kiste. Und in dieser Kiste …
Eine Streitaxt. Eine schwarze Rüstung, mit Stacheln und Knochen bewehrt. Und ein Helm, der aussah wie ein von eisernen Bändern umringter Totenschädel.
Corvis schüttelte sich heftig, als er den Helm aus der Kiste nahm, in der er jahrelang unberührt geruht hatte. Der Kiefer öffnete sich, als er ihn anhob, so als wollte der Schädel ihn begrüßen. Corvis spähte in die Augenhöhlen und untersuchte die dunklen Eisenbänder, die über das Gesicht und um den Kopf verliefen. Dann betrachtete er die Rüstung, erblickte sein, wenn auch etwas verzerrtes Spiegelbild auf den staubigen schwarzen Eisenplatten, betrachtete die dünnen Stacheln, die aus dem Kürass herausragten. Er stellte sich vor, was für ein Bild diese Rüstung erzeugt haben musste. Und obwohl er den Gedanken mit aller Gewalt wegschieben wollte, kehrte er mehrfach wieder, drängte sich in den Vordergrund seines Bewusstseins.
Was zum Teufel habe ich mir bloß dabei gedacht? Ich muss in diesem Ding wie ein Vollidiot ausgesehen haben!
Die Erkenntnis war demütigend. Zurückzublicken und zu erkennen, dass er wie ein Pfau in der Erwachsenenversion eines Kinderkostüms herumstolziert war, versetzte seinem Ego einen heftigen Stich. Einige Minuten lang konnte er nur dieses entsetzliche Ding in seinen Händen anstarren. Der aufklaffende Kiefer des Schädels schien ihn auszulachen, und ihn überkam der Drang, in dieses Lachen einzustimmen.
»Das Traurigste dabei ist«, erklärte er dem Helm ganz ernsthaft, »dass ich immer dachte, ich würde verdammt beeindruckend aussehen, damals jedenfalls. Ich habe fast zwanzig Jahre gebraucht, um den Witz zu begreifen, und jetzt, nachdem ich ihn verstanden habe, kommt er mir gar nicht mehr komisch vor.«
Der Schädel hatte sich vielleicht bereits verausgabt, jedenfalls antwortete er nicht.
»Tatsache ist«, erklärte Corvis weiter, »dass die Rüstung immer den gewünschten Effekt hatte. Die Leute hatten geradezu Todesangst vor mir.
Selbstverständlich kann ich mir vorstellen, dass die Menschen vor jedem Angst gehabt hätten, der tat, was ich getan habe, selbst wenn ich nur einen roten Kilt und ein Fähnchen am Leib getragen hätte. Ich nehme also an, sie wird ihren Zweck erfüllen.«
Er mühte sich mit den Schnallen ab, doch schon bald schienen seine Finger sich an die alte Vertrautheit zu erinnern und den Rost und die Ungeschicklichkeit all der Jahre, in denen er sie vernachlässigt hatte, abzuschütteln. Seine Gliedmaßen erinnerten sich an das, was sein Verstand schon lange vergessen hatte. Unterzeug, Kettenhemd, Schienen, Schenkelpanzer, Kürass, Armschienen …
Und der Helm. Dieses Ding schränkte das Sichtfeld ja ziemlich stark ein. Aber wenigstens hatte er die Rüstung angelegt.
Nun ja, sie passte nicht mehr ganz so gut wie früher. Einige der Riemen musste er bis zum Äußersten festzurren. Seit er diese infernalische Rüstung das letzte Mal angelegt hatte, hatte er viel an Muskelmasse verloren. Die einzelnen Teile waren für einen weit kräftigeren Mann ausgelegt. Aber es ging, und sie passte gut genug, dass nichts herunterfiel oder verrutschte, auch wenn sie sich irgendwie falsch anfühlte.
Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dachte er, während er den Helm betastete, dass mein Haar noch nicht darunter hervorlugte, als ich ihn das letzte Mal aufgesetzt habe. Es muss aussehen, als steckte ein Schäferhund mit in der Rüstung.
Corvis marschierte klappernd so leise aus der Kammer, wie er nur konnte, was allerdings nicht viel heißen wollte, und suchte einen Spiegel.
Tyannon erwartete ihn mit vor der Brust verschränkten Armen im Flur. Gereizt tippte sie mit dem Fuß rhythmisch auf den Boden und hatte eine Braue hochgezogen; ein Kommentar, der weit mehr sagte als alle Worte.
»Ja, also …«, erklärte Corvis.
»Ich war mir ziemlich sicher«, antwortete seine Frau sachlich, »dass uns gerade der ungeschickteste Dieb auf der ganzen Welt heimsucht. Es ist ein Wunder, dass du die Kinder nicht aufgeweckt hast. Dürfte ich vielleicht bescheiden anmerken, dass Heimlichtuerei nicht unbedingt dein größtes Talent ist?«
»Ich … es ist …«, Corvis seufzte, weshalb sich Brustpanzer und Stacheln unter seinem Atemzug hoben und senkten, »es ist etwas schwierig, unter diesem Ding etwas zu sehen.«
Tyannon schnaubte, und obwohl sie sich verzweifelt bemühte, ihre versteinerte
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