Die Horde 2 - Die Tochter des Kriegers
»Aber es gibt nur einen, der hier etwas zu sagen hat, und deshalb werdet Ihr die Burg nicht bewaffnet betreten.«
»Ihr habt nicht das Recht, uns aufzuhalten!«
»Sergeant!« Die Tür der Kutsche schwang auf, so dass die scharfe, kommandierende Stimme deutlich zu hören war. »Wir kommen als Gäste und werden uns daher auch entsprechend benehmen.«
Der berittene Sergeant murmelte etwas und schien für einen Moment entschlossen zu sein, den Ritter allein mit seinem finsteren Blick zu Fall zu bringen, doch dann nickte er kurz.
Die Frau, die aus der Kutsche trat, war ebenso breitschultrig wie viele der Wachen, die sie offensichtlich beschützen sollten, und ihre nackten Arme waren muskelgestählt. Ihr dunkles Haar wies kaum graue Strähnen auf und war zu einem wenig schmeichelhaften Knoten zusammengefasst. Sie trug weder ein formelles Gewand noch prunkvolle Spitze, sondern eine ärmellose smaragdgrüne Tunika und eine Strumpfhose aus dicker Wolle. Unter einem Arm klemmte eine kleine hölzerne Kiste mit einem plumpen Schloss, und um ihren nicht gerade grazilen Hals hing an einer Kette ein eiserner Anhänger: ein Hammer und ein Amboss, der nicht ganz das Wappen der Schmiede-Gilde formte und ebenso wenig das heilige Symbol von Verelian, der Göttin der Schmiede. Das Medaillon schien die beiden Symbole irgendwie zu verschmelzen.
»Lady Mavere«, begrüßte der Ritter von Braetlyn die Frau. Selbst wenn sein zusammengepresster Kiefer so etwas wie Widerwillen verriet, war seiner Stimme nichts dergleichen
anzuhören. »Ihr seid uns selbstverständlich immer willkommen. «
»Ihr seid zu freundlich, Herr Ritter.« Mit einer kurzen Handbewegung winkte sie den Fahrer vom Kutschbock. »Ihr braucht Euch um die Sicherheit Eures Herrn nicht zu sorgen«, versicherte sie ihm. »Mein Berater und ich werden allein zu ihm gehen. Meine Männer bleiben draußen.«
»Genau wie der Rest Eurer Söldner«, murmelte einer der anderen Ritter, gerade laut genug, dass alle ihn hören konnten. Der ältere Ritter und die Gesandte der Schmiede-Gilde taten dennoch beide, als hätten sie es nicht vernommen.
»Erwartet Euch mein Herr?«, wollte der Ritter wissen.
»Ganz bestimmt tut Jassion das, da einer Eurer Männer ihn gewiss über unser Kommen informiert hat, sobald wir über die Hügelkuppe geritten sind.«
Der Ritter kommentierte ihre Worte mit einem Stirnrunzeln. »Also gut. Folgt mir, bitte.«
»Ist es nicht erstaunlich«, flüsterte der Kutscher Lady Mavere vernehmlich zu, als er hinter ihr herging, »wie leicht ein schlichtes ›bitte‹ wie ›verschwindet bloß wieder‹ klingen kann?«
Im Beisein des älteren Ritters war sie jedoch viel zu diplomatisch, um daraufhin zu grinsen.
Am Rand des Schlosshofes und zu beiden Seiten jeder Tür standen nackte Marmorstatuen, die entweder hervorragende Repliken des klassischen Stils von Imphallion waren oder aber zu den lange verschollenen Antiquitäten und damit echten Stücken zählten. Unglaublich schöne Frauen streckten lockend die Hände aus, während extrem muskulöse Männer Schwerter mit von Ranken umwundenen Klingen umklammerten. Sie alle betrachteten die Neuankömmlinge mit leeren, steinernen Blicken. Einige der Statuen standen nicht, sondern lagen auf dem Rücken; über den Rand der
Stufen drapiert ließen sie gerade genug Platz, damit man die inneren Tore des Burgfrieds passieren konnte. Mavere war unwillkürlich beeindruckt und fragte sich spontan, wie weit die Faszination des Barons für Imphallions Geschichte und Antiquitäten wohl reichte.
Der Rest von Burg Braetlyn war allerdings längst nicht so gut erhalten wie diese prachtvollen Statuen. Der Bau stellte seine Gebrechlichkeit zur Schau wie ein alternder Krieger, der weiß, dass seine beste Zeit lange hinter ihm liegt, der aber trotzdem alle herausfordert, ihm das ins Gesicht zu sagen. Der abgebröckelte Mörtel war nur notdürftig ersetzt worden, viele der Ziegelsteine waren erneuert worden, und die Messingleuchter in der Eingangshalle waren zwar so poliert, dass sie glänzten, aber man hatte den uralten Grünspan und das angelaufene Metall nicht so schnell entfernen können. Der Verfall entsprang nicht wahrer Vernachlässigung, sondern war ein Zeichen für die schlampige Arbeit der Lakaien, die wussten, dass sie im Kampf gegen den Zahn der Zeit hoffnungslos unterlegen waren.
Ebenjene Lakaien in roter und blauer Livree traten nun zur Seite, um dem alten Ritter und seinen beiden Begleitern Platz zu machen. Sie senkten
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