Die Horde 2 - Die Tochter des Kriegers
Wir beide wissen sehr genau, dass ich den Gilden nichts vorzuschreiben habe, seit Ihr den Regenten vom Thron gestoßen und mich auf diese wundervolle Reise zurück nach Hause geschickt habt. Ihr wollt etwas von mir, und da Ihr wisst, dass ich mich eher auf einen heißen Schürhaken setzen und danach ein Pferd besteigen würde, als auch nur auf Euch zu spucken, wenn Ihr lichterloh in Flammen stehen würdet, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, was das wohl sein mag.«
»Wie überaus schillernd«, murmelte die Gildenmistress. »Zunächst einmal, Mylord Jassion«, fuhr sie dann fort, »muss ich Euch darüber informieren, dass ich schlechte Nachrichten für Euch habe.«
»Oh, das ist wirklich eine Überraschung.«
»Ich fürchte, dass Vantares etliche Eurer adeligen Gefährten in der Unterwelt willkommen geheißen hat, Jassion.«
Die Neuigkeit ließ ihn aufhorchen. »Wen?«, fragte er mit einem erschreckten Flüstern.
»Unter anderem auch Herzog Halmon.«
»Der Regent ist tot?«
Salia ließ ihm die Bemerkung durchgehen, obwohl sie beide wussten, dass Herzog Halmon diesen Titel seit einer ganzen Weile nicht mehr getragen hatte. »Weiterhin Herzog Edmund.«
Jassion sank auf seinem Stuhl zusammen und zupfte unbewusst an dem Polster der Armlehne. »Ich kannte Edmund sehr gut«, murmelte er. »Wir haben im Schlangenkrieg Seite an Seite gekämpft.«
»Das weiß ich.« Dann fuhr sie, in einem Tonfall, als meinte sie es aufrichtig, fort: »Es tut mir leid.«
»Cephira?«, fragte er. »Ich habe Gerüchte gehört …«
»Von denen einige zweifellos zutreffen, davon bin ich überzeugt. Sie haben etliche unserer Grenzstädte erobert, und wenn wir uns nicht längst formell im Krieg miteinander befänden, würden wir das sicher tun, bis ich nach Mecepheum zurückgekehrt wäre. Aber nein, sie haben bisher nur wenig Interesse an unseren Territorien jenseits der Grenzen gezeigt. Abgesehen davon war das kein cephiranischer Anschlag.«
»Wer war es dann?«
Salia warf ihrem Gefährten einen kurzen Seitenblick zu, der daraufhin nur beiläufig mit den Schultern zuckte. Ganz offenbar war er stärker daran interessiert, seine Fingernägel zu reinigen, als sich an dem Gespräch zu beteiligen.
»Es gibt einige Überlebende unter den Wachsoldaten«, antwortete sie zögernd. »Deshalb kommt fast alles, was wir wissen, von ihnen. Der hilfreichste Soldat war ein Bursche namens …«
Marlo stand hoch aufgerichtet und stocksteif da und versuchte, das Scheuern des Kettenpanzers auf seinen Schultern sowie das Brennen des Rauchs in Augen und Lunge zu ignorieren. Die meisten anderen vertrieben sich die Zeit mit dem Versuch, die anderen Soldaten so lange anzustarren, bis sie wegsahen. Marlo dagegen war noch neu in den Reihen der Bewaffneten der Kartografengilde und entsprechend unerfahren – oder aufgeblasen, was vielleicht das bessere Wort war –, weshalb er sich für solche Spielchen viel zu ernst nahm. Dass ausgerechnet er ausgewählt worden war, das geheime Treffen zwischen den Gildenmeistern und den Adeligen des Reiches zu bewachen trug auch nicht gerade dazu bei, sein Ego zu schmälern.
Vielleicht war es seine Verachtung für die Albernheiten seiner Kameraden, vielleicht aber auch einfach nur Glück, dass er ziellos in den Gang blickte, durch den sie alle gekommen waren, oder zumindest so weit, wie der Rauch und die flackernden Schatten es erlaubten, jedenfalls bemerkte Marlo ihn als Erster.
Der junge Soldat war überzeugt davon, dass er sich in der Dunkelheit irgendwelche Phantome ausmalte, denn wie hätte ihnen jemand hierher folgen sollen? Dennoch weigerte sich die Gestalt, sich im Schatten aufzulösen; im Gegenteil, sie wurde zunehmend deutlicher, und das bemerkenswert schnell.
Marlo griff nach seinem Schwert und holte tief Luft. Er wollte gerade eine Warnung oder einen Befehl schreien, als der Neuankömmling eine Hand hob. Marlo schwor später, dass etwas Blutrotes auf der Brust dieses Mannes aufgeblitzt sei.
Hinter Marlo schrien ein halbes Dutzend Soldaten auf und packten sich an die Schädel, als wollten sie ihre Köpfe auf den Hälsen festhalten. Knochen knackten, Blut und Hirnmasse spritzten aus nutzlosen Helmen, und sechs Männer brachen tot zusammen, ohne je zu erfahren, wodurch sie zu Tode gekommen waren. Einer der Männer kippte tot hintenüber und sank zu Boden, während er die verkrampften Hände in die Höhe hielt, um seinen Kopf zu umfassen, der jedoch längst nicht mehr an Ort und Stelle
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