Die Horde 2 - Die Tochter des Kriegers
ehrfurchtsvoll vor Ersterem das Haupt, warfen den beiden anderen jedoch unter gesenkten Lidern finstere Blicke zu. Lady Mavere hatte vom Volk von Braetlyn zwar keinen warmherzigen Empfang erwartet, aber trotz allen Bemühens um Selbstbeherrschung ballte sie unwillkürlich die Hände zu Fäusten.
Doch da stieß ihr Führer auch schon ein schweres hölzernes Portal auf, und sie hatten ihr Ziel erreicht. Vor ihnen erstreckte sich ein großer Raum, dessen Steinboden ein seegrüner Teppich bedeckte, den im Laufe der Jahre ungezählte Füße hauchdünn hatten werden lassen. Ein riesiger Kamin, in dem zur warmen Jahreszeit freilich kein Feuer loderte,
nahm den größten Teil der gegenüberliegenden Wand ein. Über der Feuerstelle prangte die imposante Marmorbüste eines Kriegers. Große Teppiche von Küstenlandschaften und Heldentaten aus den Legenden hingen an den anderen Wänden neben Holztafeln, auf denen Waffen aus modernem Stahl und alter Bronze montiert waren.
Mitten vor diesem Kamin stand ihr Gastgeber Jassion, der Baron von Braetlyn. Er blickte von einem geöffneten Buch auf, und seine gelangweilte Haltung sollte seinen Gästen unmissverständlich klarmachen, wer hier das Sagen hatte. Jassion war noch keine dreißig Jahre alt, und dennoch war sein schmales Gesicht bereits von Falten gezeichnet, die einem doppelt so alten Mann angestanden hätten. Bis auf einen glänzenden grünen Ring war er vollkommen schwarz gekleidet. Sein Haar hatte die Farbe von frisch gepflügter Erde, und seine Augen waren ebenso dunkel. Er hatte sie ein bisschen zu weit aufgerissen, als könnte er sich nicht von Gräueln losreißen, die andere nicht zu sehen vermochten.
»Eure Gäste, Mylord«, verkündete der Ritter, der auf ein unmerkliches Nicken wartete, bevor er das Gemach verließ.
Er schloss die Tür überraschend leise hinter sich, als fürchtete er, jemanden in dem Raum zu erschrecken.
»Also«, Jassion schloss das Buch weit lauter, als der Ritter die Tür hinter sich zugezogen hatte, und warf es dann achtlos auf einen Stuhl neben sich. »Salia Mavere in meinem Heim. Ich fühle mich geehrt.« Er wollte sich offenbar nicht einmal die Mühe machen, auch nur zu versuchen, seine Worte aufrichtig klingen zu lassen.
»Danke, dass Ihr uns empfangt, Mylord«, antwortete sie mit ebenso oberflächlicher Höflichkeit.
Er nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis, das nur geringfügig stärker war als jenes, mit dem er seinen Ritter
verabschiedet hatte. »Zieht Ihr die Anrede Priesterin vor, Lady Mavere? Oder ist Euch Gildenmistress lieber?«
»Einfach Salia, das genügt, Baron.«
Jassion stieß ein ungläubiges »Ha!« hervor. »Nichts an einem von Euch verdammten Gildenmeistern ist einfach. Ebenso wenig an dem, was Ihr getan habt.«
Es gelang Salia, wenn auch nur mit einiger Mühe, ihr Lächeln beizubehalten und nicht auf den kindischen Ausbruch des Barons zu reagieren. Ihr Begleiter dagegen verdrehte die Augen so theatralisch, dass es für sie beide reichte.
»Ich bin sehr froh«, fuhr die Baroness fort, fest entschlossen, weiterhin höflich zu bleiben, »dass Ihr uns so kurzfristig empfangen konntet, Mylord. Ich hoffe, wir bereiten Euch keine allzu großen Unannehmlichkeiten.«
Jassion schüttelte den Kopf und setzte sich, ohne seine Gäste aufzufordern, es ihm gleichzutun, was zweifellos mit voller Absicht geschah. »Ich hätte wohl kaum irgendwo anders sein können, habe ich recht, Salia? Eure Soldaten lauern seit drei Jahren auf jeder Straße, die von hier wegführt.«
»Aber Ihr seid kein Gefangener, Mylord. Die Soldaten sind nur da, um für Eure Sicherheit zu sorgen. Und um Euch zu begleiten natürlich, falls Ihr an einen anderen Ort reisen müsst.«
Ihre Blicke begegneten sich, und keiner von beiden machte sich irgendwelche Illusionen über Jassions internes Exil.
»Genießen denn alle Adeligen von Imphallion einen derartigen Schutz ?«, erkundigte er sich.
»Nur diejenigen, bei denen es wahrscheinlich erscheint, dass sie Ärger verursachen.«
Salias Kutscher schüttelte den Kopf und ließ sich kurzerhand auf einen Stuhl fallen. Auf Jassions wütenden Blick reagierte er einfach nur mit einer freundlichen Handbewegung.
»Warum setzt Ihr Euch nicht?«, stieß Jassion zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Kaum war die Baroness seiner Einladung gefolgt und hatte die Kiste, die sie unter dem Arm trug, vor sich auf den Boden gestellt, fuhr er auch schon fort.
»Wollen wir nicht auf den ganzen Mist verzichten, Salia?
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