Die Horde - Die Schlacht von Morthûl
Stattdessen sah er Katim an und sagte: »Und ich dachte, du würdest mich nicht ›Ork‹ nennen.«
Katim blinzelte, und dann klappte ihr Mund auf, als etwas zu ihr durchdrang, das die Königin eben gesagt hatte. »Moment! Der König … hat die Zusammenstellung … des Korps befohlen?«
»Ja.«
Die anderen Soldaten glotzten. Dämonen-Korps waren eine große Sache und wurden nicht einfach so zusammengestellt, aber sie alle hatten angenommen, dass eine militärische Entscheidung von General Falchion oder einem seiner Offiziere dahintersteckte. Dass der Leichenkönig höchstpersönlich die Zusammenstellung des Korps angeordnet hatte, gab ihren Erfahrungen eine ganz neue Bedeutung und machte die klügeren Mitglieder der Truppe ziemlich nervös.
»Was kommt als Erstes an die Reihe?«, fragte Cræosh. »Drachenschuppen? Der Atem eines Geistes? Das Auge eines Molchs?«
Die Königin lachte, und auch dabei klang ihre Stimme wie Musik. »Mein lieber Cræosh, du hast zu viele Märchen gehört. Nein, ich möchte, dass ihr mir als Erstes die Knochen eines toten Zauberers bringt. Die irgendeines Zauberlehrlings genügen nicht; sie müssen von einem wahren Magier stammen.«
Cræosh verschluckte sich fast. »Ihr wollt, dass wir einen Zauberer töten?«
Königin Anne hob die Hand. »Ihr sollt nichts töten. Die Knochen eines seit langer Zeit toten Zauberers erfüllen ihren Zweck ebenso gut wie frische. Vielleicht wären sie sogar besser geeignet.«
»Oh.« Cræosh entspannte sich, aber nur ein wenig. »Trotzdem, wir haben keine Ahnung, wo wir solche Knochen …«
»Auch darüber braucht ihr euch keine Gedanken zu machen. Ich weiß, wohin ich euch schicken muss. Ich kümmere mich sogar selbst um euren Transport. Ihr müsst nur die Knochen an euch bringen.«
Es klang ganz einfach, und das beunruhigte Cræosh mehr als alles andere. »In Ordnung«, sagte er, während seine Gedanken rasten. »Wohin geht die Reise?«
Königin Anne lächelte. »Ich schicke euch nach Jureb Nahl.«
Irgendwo weiter hinten stöhnte Gork.
Vom Mündungsgebiet des Krom südlich des Meers der Tränen erstreckte sich der Sumpf namens Jureb Nahl über viele nasse, stinkende Meilen. Dort lebten keine zivilisierten Leute, und wenn die Horde Ausdrücke wie »keine zivilisierten« Leute verwendete, so hatte das einen guten Grund. Der nächste Ort, in den Kummervollen Bergen am Rand des Sumpfes gelegen, war die Koboldkolonie Rurrahk. Dort war ein gewisser Gork geboren und aufgewachsen, und dort hatte er von seinen Großeltern Geschichten über Jureb Nahl gehört.
Er erinnerte sich an genug Einzelheiten, um zu wissen, dass es besser gewesen wäre, einen weiten Bogen um den Sumpf zu machen.
Dies hatten Gorks Großeltern ihm erzählt: Jureb Nahl war nicht immer ein Sumpf gewesen. Zweihundert Jahre vor Morthûls Aufstieg zur Macht hatte es dort, wo er sich heute erstreckte, eine Grasebene gegeben, vielleicht die fruchtbarste Provinz von ganz Kirol Syrreth. Der Name Jureb Nahl bezog sich damals auf eine blühende Gemeinschaft an der westlichen Landesgrenze, bekannt für Handel und Wissen. König Jarrom – der Großvater von Sabryen, den Morthûl dann gestürzt hat – besuchte gern die großen Bibliotheken von Jureb Nahl. Eine weitere Generation oder vielleicht auch zwei, und Jureb Nahl wäre zur größten Stadt von Kirol Syrreth geworden.
Aber dazu hatte es nicht kommen sollen.
In den Kummervollen Bergen ging es bis zum heutigen Tag weitaus ruhiger zu als in den Schwefelbergen, doch einige ihrer Gipfel spuckten ihren Anteil an Rauch und Schwefel. Eines lange zurückliegenden Morgens bebte die Erde so stark, dass man es selbst weit jenseits der Grenzen von Kirol Syrreth spürte, und einer der höchsten Berge schleuderte seine Innereien gen Himmel. Asche verdunkelte wochenlang das Firmament und bildete eine dicke Schicht auf dem Meer der Tränen. Schier endlose Magmaströme ergossen sich über die Berghänge und Strände, schufen dort hohe Mauern aus Dampf, wo sie auf das Wasser des Meers trafen.
Jureb Nahl war weit genug von der Eruption entfernt, um den gewaltigen Ausbruch zu überstehen, und die Bewohner wussten, wie man während der folgenden Jahre der Dürre und Not überlebte. Doch all diese Mühen nahmen sie umsonst auf sich: Das Wasser stieg und verwandelte das einst fruchtbare Grasland in ein Salzwassermoor. Und schließlich packten auch die letzten hartnäckigen Bewohner von Jureb Nahl ihre Sachen und gingen fort.
Hundert Jahre lang stieg das
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