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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Runden. Nach zwölf Kilometern hörte er auf. Zwar hätte er noch weiterlaufen können, doch ihm wurde langweilig, und er wollte in die Stadt. Es war seltsam. Innerhalb von wenigen Tagen war er von einem Zustand der Erschöpfung zu einer gewissen Überaktivität gewechselt. Brazil konnte sich nicht daran erinnern, daß seine Körperchemie jemals so verrückt gespielt hätte. In einem Moment schleppte er sich nur mühsam vorwärts, und im nächsten war er erregt und in Hochstimmung, ohne daß er es sich erklären konnte. Möglich, daß sein Hormonhaushalt in einer für sein Alter ganz normalen Phase war. Es stimmte schon: Wenn ein Mann zwischen sechzehn und zwanzig sein Triebleben nicht unter Kontrolle bekam, dann bestrafte ihn später die Biologie. Genau das hatte ihm sein Hausarzt gesagt. Dr. Rush, dessen Familienpraxis an der Cornelius Street lag, hatte Brazil vor genau diesem Problem, als er ihn einmal als Teammitglied im ersten Collegejahr am Davidson zu einer Routineuntersuchung aufgesucht hatte. Dr. Rush wußte, daß Brazil ohne Vater aufwuchs und eine gewisse Führung brauchte. Er hatte ihm erklärt, daß viele junge Männer folgenschwere Fehler begingen, weil ihr Körper sich schon im Stadium der Fortpflanzungsfähigkeit befand. Nach Dr. Rushs Meinung war diese Zeit so etwas ein Rückfall in die Kolonialzeit, in der mit sechzehn bereits die Hälfte der Lebenserwartung eines Mannes abgelaufen war und er sich fortzupflanzen hatte, bevor Indianer oder feindliche Nachbarn ihm an den Kragen gingen. Aus dieser Sicht war der Sexualtrieb durchaus sinnvoll, wenn auch primitiv. Brazil aber wollte sich alle Mühe geben, sich nicht von ihm beherrschen zu lassen.
    Im kommenden Mai wurde Brazil dreiundzwanzig, aber seine Triebe hatten noch nicht nachgelassen. Er hatte sich Dr. Rush anvertraut, von dem in der Stadt gemunkelt wurde, daß er es mit der ehelichen Treue nicht so genau nahm und nie genommen habe. Er legte noch ein paar Sprints auf dem Heimweg ein und dachte über die Sexualität nach. Für ihn hingen Liebe und Sex irgendwie zusammen, aber vielleicht sollte das besser nicht so sein. Das Gefühl der Liebe machte ihn sanft und weich. Liebe brachte ihn dazu, daß er Blumen wahrnahm und sie pflücken wollte. Liebe befähigte ihn zu seinen schönsten Gedichten, wogegen Sex ihn zu Versen in heftigen, recht erdgebundenen Versmaßen verleitete, die er nie jemandem zeigen oder gar zur Veröffentlichung vorlegen würde. Er eilte heim und duschte länger als gewöhnlich. Um fünf nach acht stand er in der Schlange in der Cafeteria des Knight-Ridder-Building und schob sich langsam voran. Er trug Jeans und hatte seinen Pieper am Gürtel. Wer ihn erkannte, starrte diesen jungen Wunderreporter neugierig an, der zugleich Polizist spielte und ein Einzelgänger zu sein schien. Brazil entschied sich gerade für Raisin Bran mit Blaubeeren, da erscholl über die Lautsprecheranlage die ebenso beliebte wie respektlose Radioshow Don't Go IntoMorning mit Dave und Dave.
    »In einer überraschenden Meldung von gestern abend«, sagte Dave mit tiefer Moderatorenstimme, »wurde bekannt, daß sich selbst der Bürgermeister unserer Stadt zur Zeit bei Dunkelheit nicht mehr in die Innenstadt wagt.«
    »Die Frage ist dabei nur, wieso sollte er?« warf Dave spöttisch ein. »Hätte sich Senator Butler besser auch gefragt.«
    »Wollte vielleicht nur mal nach seinem Wahlvolk sehen, Dave. Ihm zu Diensten sein.«
    »Und eins, zwei, drei krabbelt so ein Spinnentier über seinen Wasserspeier...«
    »He, Dave, das geht jetzt aber zu weit.«
    »Wieso? Angeblich dürfen wir in der Show doch alles sagen. Steht im Vertrag.« Dave war so witzig wie immer, witziger noch als Howard Stern.
    »Im Ernst, Bürgermeister Search bittet jeden um Hinweise, die zur Festnahme des Schwarze-Witwen-Killers führen können«, sagte Dave. »Und jetzt sind Madonna und Amy Grant dran, Rod Stewart und.«
    Wie erstarrt war Brazil mitten in der Schlange stehengeblieben. Das Programm ging weiter, und die Leute machten einen Bogen und überholten ihn. Packer kam herein und marschierte direkt auf ihn zu. Jetzt würde alles zu Bruch gehen. Er bezahlte sein Frühstück und drehte sich um, um seinem Untergang entgegenzusehen. »Und? Was ist?« kam er seinem grimmig dreinschauenden Redakteur zuvor.
    »Sofort nach oben«, sagte Packer. »Wir haben ein Problem.« Diesmal rannte Brazil nicht die Rolltreppe hinauf. Auch stellte er Packer keine weiteren Fragen, denn der hatte ohnehin nichts

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