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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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wohlerzogen gezeigt, und dennoch war ihr der Gerichtssaal außer Kontrolle geraten. Das war ihr noch nie passiert. Dafür sollte jemand büßen. Warum eigentlich nicht dieser Mistkerl, der in diesen verdammten Bus gestiegen war und all den Ärger verursacht hatte?
    »Der Staat stimmt einem Sammelverfahren für alle zehn Fälle zu«, verkündete die Richterin hastig. Sie wollte eine Eskalation auf jeden Fall vermeiden. »Der Beschuldigte besitzt ein Vorstrafenregister, das Bewährung ausschließt, und ist in jedem der zehn Fälle zu einer Mindeststrafe von siebzig beziehungsweise einer Höchststrafe von dreiundneunzig Monaten zu verurteilen, was sich auf eine Gesamtstrafe von siebenhundert beziehungsweise neunhundertdreißig Monaten beläuft. Das Gericht zieht sich bis 13.00 Uhr zurück.« Sie raffte mit einer Hand ihre Robe zusammen und floh aus dem Saal. Mr. Martino überprüfte die mathematischen Berechnungen der Richterin.
    Reporter Nicks eilte zur South McDowell Street zurück, wo auf Frequenz 96.9 Today's Hot New Country and Your All Time Favorites zu hören waren. Nur selten hatte sein Sender sensationelle Nachrichten, Erstmeldungen, wichtige Hinweise oder Vertrauliches zu verkünden. Man hätte also unterstellen können, daß Hörer von Country-Musik weder zur Wahl gingen noch sich über Kriminalität Gedanken machten oder ein Interesse hatten, ob ein Crackdealer im Gefängnis landete. Tatsächlich hatte noch nie ein Vertreter der Stadt und auch sonst kein Arsch es für nötig gehalten, Nicks Bescheid zu sagen, wenn etwas im Busch war. Heute war sein Tag, und er hatte es so eilig, aus seinem 67er Chevelle herauszukommen, daß er zweimal umkehren mußte, einmal um seinen Notizblock zu holen, das zweite Mal, um den Wagen abzuschließen.

Kapitel 22
    Das Sensationelle von den zwei heldenhaften Kreuzritterinnen, die in der ersten Reihe saßen, während eine Witzfigur von Richterin tat, als ob sie nicht da wären, rauschte über den Äther. Binnen kürzester Zeit wußten ganz North und South Carolina davon. Don Imus griff die Story auf und schmückte sie nach bestem Können aus. Paul Harvey besorgte den Rest. Hammer fuhr immer wieder zur SICU und nahm sonst von ihrer Umwelt kaum etwas wahr. West fuhr durch die Straßen von Charlotte und hielt Ausschau nach Brazil. Seit Donnerstag hatte ihn niemand mehr gesehen, und jetzt war Samstagmorgen.
    Packer war wieder einmal mit dem Hund vor der Tür, als West sich bei ihm meldete. Ihr Anruf überraschte und ärgerte ihn ein wenig. Auch er hatte nichts von Brazil gehört. In Davidson schnarchte Mrs. Brazil wie gewohnt auf der Wohnzimmercouch und verschlief Billy Grahams Fernsehgottesdienst. Auf dem Couchtisch standen ein überfüllter Aschenbecher und eine Flasche Wodka. West ließ das Telefon endlos klingeln und legte schließlich frustriert auf. Sie fuhr gerade am Knight-Ridder-Building vorbei. »Verdammt!« stieß sie aus. »Andy, tu es nicht!«
    Mrs. Brazil konnte kaum die Augen öffnen. Sie glaubte, etwas gehört zu haben. Mit Mühe schaffte sie es, sich ein paar Zentimeter aufzurichten. Ein Chor in blauen Gewändern mit goldenen Stolen über den Schultern pries Gott. Vielleicht war das das Geräusch gewesen. Sie griff nach dem Glas und trank, was sie sich vor dem Einschlafen eingegossen hatte. Ihre Hand zitterte heftig. Erschöpft sank sie in die säuerlich riechenden Kissen zurück. Der Zaubertrank schoß ihr ins Blut und entführte sie in ein schönes Nirgendwo. Beim nächsten Schluck merkte sie, daß ihr der Sprit auszugehen drohte. In der Nähe gab es nur einen kleinen Supermarkt. Wahrscheinlich bekam sie dort Bier oder Wein. Wo Andy nur blieb? War er dagewesen und wieder gegangen, während sie schlief?
    Der Abend kam. West blieb zu Hause. Sie wollte allein sein. Sie fühlte sich beklommen, konnte nirgends ruhig sitzen oder sich gar auf etwas konzentrieren. Raines hatte ein paarmal angerufen. Doch wenn sie seine Stimme auf dem Anrufbeantworter hörte, nahm sie nicht ab. Es schien, als sei Brazil spurlos verschwunden. West konnte kaum noch an etwas anderes denken. Es war wirklich verrückt. Sie wußte, er würde nichts Unüberlegtes tun. Aber die Schreckensbilder von allem, was sie in ihrem Berufsleben erlebt hatte, suchten sie immer wieder heim.
    Sie hatte Tote gesehen, die an einer Überdosis gestorben waren, andere, die sich in der Einsamkeit erschossen hatten und erst viel später von Jägern im Wald entdeckt worden waren, und Autos, die ein See oder Fluß mit

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