Die Hornisse
das Haus erfüllt. Wann hatte Seth eigentlich das letztemal Beethoven, Mozart, Mahler oder Bach gehört? Und wann hatte er angefangen, statt dessen den Fernseher einzuschalten? Wann hatte Seth den Entschluß gefaßt, lieber tot sein zu wollen?
»Besagte Person, Mr. Anthony dort«, erklärte Mungo, »saß auf einer Decke in dem Dickicht, das Mr. Pond soeben beschrieben hat. Bei ihm waren zwei weitere Personen. Es wurde Magnum Fortyfour und Colt Fortyfive getrunken. Zwischen ihnen lag ein Dutzend sautierter Krebse in einer braunen Papiertüte.«
»Ein Dutzend?« fragte Richterin Bovine nach. »Haben Sie sie gezählt, Detective Mungo?«
»Die meisten waren schon verzehrt, Euer Ehren. Wie man mir sagte, waren es ursprünglich zwölf. Als ich sie mir ansah, waren noch drei übrig, glaube ich.«
»Weiter, fahren Sie fort.« Die Geduld der Richterin für diese irrelevante, schleppende Beschreibung stand umgekehrt proportional zu ihrer sich füllenden Blase. Sie trank den nächsten großen Schluck Wasser und überlegte, was sie zum Lunch essen könnte. »Besagte Person, Mr. Anthony, bot mir ein Gläschen Kokainklumpen in Form von Crack für fünfzehn Dollar an«, fuhr Mungo fort.
»So ein Scheiß«, fiel ihm Mr. Anthony ins Wort. »Ich habe Ihnen einen von diesen verdammten Krebsen angeboten, Mann.«
»Mr. Anthony, wenn Sie nicht ruhig sind, muß ich Sie wegen Mißachtung des Gerichts in Gewahrsam nehmen lassen«, warnte Richterin Bovine.
»Es war ein Krebs. Ich habe nur einmal das Wort Crack benutzt, nämlich als ich ihm sagte, knacken könne er sich das Vieh selber.«
»Euer Ehren«, sagte Mungo, »ich fragte den Beschuldigten, was in der Tüte sei, und er antwortete in aller Deutlichkeit >Crack<.«
»Habe ich nicht.« Mr. Anthony drängte fast zum Richtertisch, doch sein Pflichtverteidiger hielt ihn am Ärmel zurück, an dem noch das Etikett aufgenäht war.
»Haben Sie wohl«, sagte Mungo.
»Habe ich nicht!«
»Doch.«
»Nein.«
»Ich rufe zur Ordnung!« verkündete die Richterin. »Mr. Anthony, noch ein Ausbruch dieser Art, und ich.« »Lassen Sie mich doch wenigstens einmal sagen, wie es war!« Mr. Anthony war in Fahrt.
»Dafür haben Sie Ihren Anwalt«, sagte die Richterin streng. Der Druck in ihrer Blase wurde immer spürbarer. Langsam geriet sie außer Fassung.
»Ach ja? Diesen Scheißer?« Mr. Anthony warf seinem Hungerleider von Verteidiger einen finsteren Blick zu.
Die Anwesenden im Gerichtssaal waren hellwach und gingen mit, wie Pond das noch nicht erlebt hatte. Es lag etwas in der Luft, und niemand wollte es verpassen. Im Publikum stieß man sich gegenseitig an, leise wurden Wetten abgeschlossen. Jake aus der dritten Reihe setzte darauf, daß Mr. Anthony im Knast landete. Shontay, zwei Reihen dahinter, auf den Undercovercop, der sie in seinem zerknittertem Nadelstreifenanzug an eine Vogelscheuche erinnerte. Ihrer Überzeugung nach, die allerdings auf Hörensagen basierte, gewann ein Cop immer, wie sehr er auch im Unrecht sein mochte. Quik noch weiter hinten schnippte unablässig mit Daumen und Mittelfinger. Ihm war das alles völlig egal. Er würde es dem Arschloch, dem er seine Verhaftung zu verdanken hatte, so bald wie möglich heimzahlen. Ihn so gemein zu verpfeifen. Oh, Mann.
»Detective Mungo.« Der Richterin reichte es langsam. »Aufgrund welcher Vermutung haben Sie Mr. Anthonys braune Papiertüte untersucht?«
»Euer Ehren, es ist, wie ich gesagt habe«, fuhr Mungo unbeeindruckt fort. »Ich fragte ihn nach dem Inhalt der Tüte. Er sagte es mir.«
»Er sagte Krebse und meinte, Sie sollen sie sich selbst knacken«, sagte die Richterin. Inzwischen war es wirklich dringend geworden. »Himmel. Ich weiß es nicht. Ich bin der Meinung, er hat Crack gesagt.« Mungo versuchte, fair zu bleiben.
Derartiges passierte Mungo in mehr als der Hälfte seiner Fälle. Er hatte es schon immer bequemer gefunden, nur das zu hören, was er wollte, und solange der andere nicht stärker war als er, konnte er sich das leisten. Der Fall wurde abgewiesen. Noch bevor die Richterin die Sitzung unterbrechen und sich ins Richterzimmer zurückziehen konnte, hatte der eifrige Staatsanwalt bereits den nächsten und dann den übernächsten Fall aufgerufen. Sie unterbrach ihn nicht, denn das hätte ihren Prinzipien widersprochen. Nacheinander standen Leute vor ihr, die wegen Einbruch, Autodiebstahl, Vergewaltigung, Mord und immer wieder Drogendelikten festgenommen waren, begleitet von Pflichtverteidigern und Zeugen, die
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