Die Hornisse
daß er nett sein mußte.«
»Er war nett«, sagte Brazil. »Vielleicht ein wenig altmodisch, aber das war eben die Zeit, in der er lebte.« Mit gesenktem Kopf zupfte er an seinen Fingernägeln. »Er war ganz verrückt nach meiner Mutter. Aber sie war von klein auf verwöhnt. Sie ist so aufgewachsen. Ich glaube, der Hauptgrund, warum sie mit seinem Tod nie zurechtgekommen ist, ist die Tatsache, daß sie jemanden verloren hatte, der sie abgöttisch geliebt und stets für sie gesorgt hat.«
»Du glaubst nicht, daß sie ihn geliebt hat?« West war neugierig. Sie war sich bewußt, wie nah sie auf seinem Bett beieinandersaßen. Sie war froh, daß die Tür halb offen stand und der Knauf abgeschraubt war. »Meine Mutter weiß nicht, was es heißt, jemanden zu lieben, nicht einmal sich selbst.«
Brazil betrachtete sie. Seine Blicke brannten auf ihrer Haut. Draußen blitzte und donnerte es, und es regnete in Strömen. Auch sie sah ihn an, und sie fragte sich, ob das Leben in ein paar Jahren wohl diesen anmutigen Zug an ihm zerstören konnte. Bestimmt würde es so kommen. Sie stand vom Bett auf.
»Morgen mußt du als allererstes die Telefongesellschaft anrufen«, riet sie ihm. »Sag, daß du eine Fangschaltung beantragst. Dieser kleine Kasten nützt erst etwas, wenn sie eingerichtet ist, okay?« Er sah sie einen Moment lang schweigend an. Dann fragte er plötzlich: »Ist das teuer?«
»Du wirst es dir leisten können. Wer hat es bei der Arbeit auf dich abgesehen?« wollte sie wissen und tat einen Schritt auf die Tür zu.
»Axel, ein paar Frauen beim Satz.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich merke das gar nicht.« Noch einmal ein Schulterzucken.
»Hat jemand die Möglichkeit, sich in deine Dateien einzuklicken?« fragte sie, während es draußen weiter donnerte.
»Ich wüßte nicht, wie.« West sah sich seinen PC an.
»Den nehme ich noch mit zu mir. Neulich hatte ich keinen Platz mehr im Wagen«, erklärte er.
»Vielleicht solltest du deinen nächsten Bericht hierauf und nicht auf dem in der Redaktion schreiben«, sagte sie. Brazil betrachtete sie noch immer. Er lag auf dem Bett, die Hände unter dem Kopf verschränkt. »Das würde nicht viel bringen«, sagte er. »Die Sachen müssen ja für den Druck in den Zeitungscomputer geladen werden.«
»Und wenn du dein Passwort änderst?« fragte sie. Sie lehnte jetzt an der Wand, die Hände in den Taschen.
»Das haben wir schon gemacht.«
Es blitzte, und der Wind peitschte Regen durch die Bäume. »Wir?« fragte West.
Brenda Bond saß in ihrem Raum mit den Zentraleinheiten vor einem Keyboard. Sie arbeitete auch am Sonntag, denn was hätte sie sonst tun sollen? Das Leben hielt nicht viel für sie bereit. Sie trug eine Brille mit optischen Gläsern und einem teuren Modo-Gestell, das ihr bei Tommy Axel so gut gefallen hatte. Auch in anderer Hinsicht imitierte sie diesen Musikkritiker, weil er aussah wie Matt Dillon und wirklich cool war. Gerade durchforstete die Systemanalytikerin Bond kilometerlange Ausdrucke, und nichts, was sie fand, konnte sie freuen.
Die Architektur des computerisierten Mailsystems der Zeitung mußte nur neu konfiguriert werden. Was sie wollte, war einfach und nicht zuviel verlangt, aber sie war es leid, immer wieder zu versuchen, Panesa mit Präsentationen zu überzeugen, die er sich nicht einmal die Mühe machte anzusehen. Bonds Entwurf zielte im wesentlichen auf folgendes ab: Sie wollte einen Verteiler erstellen, über den ein Manager Ringsendungen zur Bearbeitung von Dateien an die angeschlossenen Teilnehmer mailte, mal mit, mal ohne eingeschalteten Überarbeitungsmodus, und als zweites sollte ein Verteiler an alle gleichzeitig mit abschließender Konsolidierung durch den Manager eingerichtet werden. Mit dem Magic Marker hatte Brenda Bond eine Grafik gezeichnet, die die Kommunikationspfade zwischen den Usern in bunten gepunkteten Linien und Pfeilen zeigte. Bond brachte das für sich noch einmal auf den Punkt und unterbrach dann ihre Tätigkeit. Um Viertel nach drei ging plötzlich die Tür auf, und Deputy Chief Virginia West in Uniform stand überraschend vor ihr. West sah auf den ersten Blick, wen sie in Bond vor sich hatte: eine feige und hinterhältige Frau in mittleren Jahren, einen Wurm, der exakt in das Profil eines Menschen paßte, der Feuer legte, Briefbomben, getarnt als Gratisproben von Schmerzmitteln oder Augentropfen, verschickte und Mitmenschen mit Haßbriefen oder widerlichen Telefonanrufen verfolgte. West zog
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