Die Hornisse
durcheinanderzubringen, und das bist du selbst. Und soll ich dir mal was sagen?« Sie blies den Rauch aus. »Wenn du mich fragst, hast du bis jetzt dein Leben verdammt gut im Griff.«
Er schwieg und dachte an Webb, und die Erinnerung an das, was passiert war, war wie eine eiskalte Dusche.
»Warum fahren wir eigentlich zu mir nach Hause?« gelang es Brazil schließlich zu fragen.
»Du hast zu viele Anrufe bekommen, bei denen sofort aufgelegt wurde«, antwortete West. »Willst du mir das erklären?«
»Irgendein Perverser«, murmelte Brazil. »Wer?« West hörte das gar nicht gerne. »Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?« Das Thema langweilte ihn und war ihm unangenehm. »Irgendein schwuler Typ?«
»Eine Frau, glaube ich«, sagte Brazil. »Keine Ahnung, ob sie lesbisch ist.«
»Wann hat das angefangen?« West wurde ärgerlich.
»Weiß nicht.« Als sie in die Auffahrt zum Haus seiner Mutter einbogen und hinter dem alten Cadillac parkten, zog sich sein Herz zusammen. »Ungefähr als ich bei der Zeitung anfing«, sagte er leise.
West sah ihn an. Die Traurigkeit in seinen Augen als er auf die Ruine blickte, die er Zuhause nannte, ein Zuhause, das eine trostlose Wahrheit enthielt, berührte sie.
»Andy«, sagte West, »was denkt deine Mutter in diesem Moment? Weiß sie, daß du ausgezogen bist?«
»Ich hab ihr eine Nachricht hinterlassen«, antwortete er. »Sie war nicht wach, als ich gepackt habe.«
West war inzwischen klargeworden, daß wach eine Umschreibung für relativ nüchtern war. »Hast du seitdem noch einmal mit ihr gesprochen?«
Er öffnete die Tür. West nahm das Kästchen vom Rücksitz, eine Vorrichtung für eine Fangschaltung, und folgte ihm ins Haus. Sie fanden Mrs. Brazil in der Küche, wo sie sich mit zitternden Händen gerade Ritz Cracker mit Erdnußbutter bestrich. Sie hatte die beiden vorfahren hören, was ihr Zeit gegeben hatte, ihre Abwehrkräfte zu mobilisieren. Mrs. Brazil würdigte sie keines Wortes. »Hallo«, sagte West.
»Wie geht's dir, Mom?« Brazil machte den Versuch, seine Mutter zu umarmen, aber sie wollte nicht und wehrte ihn mit dem Messer in der Hand ab.
Brazil fiel auf, daß der Knauf von seiner Zimmertür abgeschraubt war. Mit einem kleinen Lächeln sah er West an. »Ich hatte gar nicht an dich und dein Werkzeug gedacht«, sagte er.
»Es tut mir leid. Ich hätte ihn wieder anschrauben sollen.« Sie sah sich um, als könnte sie irgendwo einen Schraubenzieher entdecken.
»Mach dir darüber keine Gedanken.«
Sie gingen in sein Zimmer. Sie zog den Regenmantel aus und sah sich zögernd um, als sei sie noch nie hier gewesen. Seine Gegenwart in diesem kleinen privaten Bereich seines Lebens verwirrte sie. Hier hatte er als Junge gelebt, hier war er zu einem Mann herangewachsen, und hier hatte er seine Träume geträumt. Sie fühlte eine heiße Welle in sich aufsteigen, und ihr Gesicht rötete sich, während sie das Gerät für die Fangschaltung an sein Telefon anschloß. »Natürlich hat das nicht mehr viel Sinn, wenn du in deinem Apartment eine neue Telefonnummer bekommst«, erklärte sie. »Aber das Wichtigste ist zu erfahren, von wem diese Anrufe kommen.« Als sie fertig war, richtete sie sich auf. »Weiß außer deiner Mutter und mir noch jemand, daß du umgezogen bist?«
»Nein«, sagte er und sah sie an.
Außer seiner Mutter hatte noch nie eine Frau diesen Raum betreten. Brazil sah sich um und hoffte, daß nichts herumlag, das ihm peinlich sein könnte oder etwas von ihm preisgab, wovon sie nichts wissen sollte. Auch sie sah sich um, denn sie hatten es beide nicht eilig, zu gehen.
»Du hast eine Menge Auszeichnungen«, stellte sie fest. Brazil zuckte mit den Schultern und ging zu dem überfüllten Regal, dessen Inhalt ihm nichts mehr bedeutete. Er zeigte auf den einen oder anderen besonders wichtigen Preis und erklärte ihr, wofür er ihn erhalten hatte. Er schilderte einige Höhepunkte in verschiedenen dramatischen Matches. Für eine Weile saßen sie auf seinem Bett, und er erzählte aus seiner einsamen Jugend, in der es eigentlich nur Fremde für ihn gegeben hatte. Er sprach von seinem Vater und sie von ihrer vagen Erinnerung an Drew Brazil. »Ich weiß nur, wer er war. Das ist fast schon alles«, sagte sie. »Ich selbst war gerade erst zur Polizei gekommen, eine Bezirkspolizistin, die auf eine baldige Beförderung zum Sergeanten hoffte. Ich kann mich erinnern, daß alle Frauen ihn gutaussehend fanden.« Sie lächelte. »Darüber wurde oft gesprochen und davon,
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