Die Hornisse
er nicht mehr da war, nahm sie ihre Straße und ihre Umwelt wieder wahr. Alles sah aus wie immer, nur war es so nicht. Immer wieder mußte sie während der Fahrt tief durchatmen. Einerseits war sie bedrückt, andrerseits tobte sie innerlich. Das sollte Goode büßen. Einen ungünstigeren Zeitpunkt für ihr Bravourstück und dessen Aufdeckung hätte sich Goode gar nicht aussuchen können.
Goode war so unerschütterlich von der eigenen Wichtigkeit überzeugt, daß sie keinen Grund sah, ihre Uniform anzuziehen oder andere Kleidung, mit der sie ihrer trauernden Vorgesetzten Achtung und Respekt entgegengebracht hätte. Statt dessen fuhr sie in einem khakifarbenen kurzen Rock und einem T-Shirt zur Stadt zurück, die sie schon den ganzen Tag getragen hatte. Auch auf Webb hatte sie so gewartet. Der war allerdings mit Gartenarbeit beschäftigt gewesen und hatte nicht kommen können. Seit einigen Tagen hatte seine Frau ein mißtrauisches Auge auf ihn. Goode parkte ihren Miata auf dem reservierten Stellplatz. Noch überheblicher als sonst sah sie auf alle herab, die ihr begegneten. Der Aufzug trug sie in den zweiten Stock, wo ihr elegantes Büro in unmittelbarer Nähe der Räume lag, die bald die ihren sein würden. Sie schloß die Tür hinter sich und wählte Webbs vertraute Nummer, und wie immer, wenn sich jemand anders als der gutaussehende Reporter meldete, legte sie auf. Sie war froh, daß ihr Dienstapparat so präpariert war, daß er Signale zerhackte und Fangschaltungen unmöglich machte. Als Webbs Frau sich meldete, legte Goode auf. Im selben Moment flog ihre Tür auf. Chief Hammer stürmte herein. Sie war nicht weit davon entfernt, ihrem Namen alle Ehre zu machen. Im ersten Moment dachte Goode noch, wie scharf ihre Vorgesetzte in Grau aussah. Ihrem zweiten - und zugleich letzten -Eindruck nach wirkte sie nicht gerade wie eine trauernde Witwe. Mit entschlossenen Schritten ging Hammer auf Goodes Schreibtisch zu und griff nach deren Messing-Namensschild. »Sie sind gefeuert«, sagte Hammer mit einer Stimme, die keinen Zweifel offenließ. »Ihre Marke und ihre Waffe. Ihren Schreibtisch räumen Sie auf der Stelle. Ich mache schon einmal den Anfang.« Hammer schleuderte das Namensschild in den Papierkorb. Ohne Goode eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ sie den Raum. Obwohl sie wie eine Furie durch die Flure fegte, versäumte sie es nicht, allen, denen sie begegnete, zuzunicken oder sie zu grüßen.
Die Nachricht vom Tod ihres Mannes war bereits über Rundfunk verbreitet worden, und viele Mitglieder des Charlotte Police Department empfanden tiefes Mitgefühl und neuerwachten Respekt für ihre oberste Chefin. Trotz allem war sie da und tat ihren Dienst. Sie würde sie niemals im Stich lassen. Als ein Sergeant sah, wie Goode mit Tüten und Kartons voll Bürokram zu ihrem Wagen schlich, machte die frohe Kunde in sämtlichen Einsatzgebieten - Adam, Baker, Charlie und David -, in der Ermittlungsabteilung und bei der Bereitschaft sofort die Runde. Cops zeigten sich gegenseitig das Victory-Zeichen und gönnten sich eine kleine Pause auf dem Parkdeck oder im Bereitschaftsraum. Der Captain vom Dienst zündete sich trotz des Rauchverbots in seinem Büro seine geliebte Rum-Crook-Zigarre an.
Brazil machte bei seinem BMW auf dem Parkplatz gerade einen Ölwechsel, als sich sein Pieper meldete. Er ging hinein, wählte Wests Privatnummer und erfuhr so die gute Nachricht. »Bond wird dich nicht mehr belästigen.« West versuchte, sich unbeteiligt zu geben, doch sie war wirklich stolz auf sich. »Auch wird dieses kleine Miststück Goode keinen deiner Artikel mehr ausliefern. Webb wird trockengelegt.«
Für Brazil war es ein Schock, und gleichzeitig jubelte er.
»Wirklich?«
»Ganz sicher. Der Fall ist abgeschlossen. Hammer hat Goode gefeuert, und Bond ist wie gelähmt.«
»Diese Anrufe kamen von Bond?« Das paßte nicht in das Bild, das Brazil sich gemacht hatte. »Genau.«
Irgendwie war er enttäuscht, daß es keine dynamischere und attraktivere Person war, die solche Gedanken für ihn hegte. West spürte das und sagte: »Du siehst das nicht aus der richtigen Perspektive.«
»Wie meinst du das?« Er spielte den Naiven.
»Andy, ich erlebe solche Dinge immer wieder, und dabei ist es egal, ob es sich beim Täter um einen Mann oder eine Frau handelt. Der Unterschied ist nur, daß sich eine Frau wahrscheinlich nicht vor dir entblößen wird, und zumindest dafür solltest du dankbar sein«, erklärte sie. »Solche Aktionen haben
Weitere Kostenlose Bücher