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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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einen Stuhl heran, drehte die Lehne nach vorn und setzte sich nach Männermanier mit gespreizten Beinen darauf, die Arme auf die Lehne gestützt. »Es ist interessant«, begann West nachdenklich. »Die meisten Menschen glauben, ein von einem Handy geführtes Gespräch könne nicht zurückverfolgt werden. Was sie aber nicht wissen, ist, daß ein solches Gespräch über einen Sendemast läuft. Und diese Sendemasten decken einen sehr kleinen Sektor ab, kaum größer als zweieinhalb Quadratkilometer.«
    Bond begann zu zittern. Der Bluff wirkte.
    »Ein gewisser junger männlicher Reporter erhält seit einiger Zeit obszöne Anrufe«, fuhr West fort. »Und wissen Sie, was?« Sie machte eine wohlgesetzte Pause. »Die Anrufe kommen genau aus dem Sektor, in dem Sie wohnen, Ms. Bond.«
    »Ich, ich, ich...« Bond stotterte, und schon tanzten Bilder von Gefängnisgittern und Sträflingskleidung vor ihren Augen. »Viel mehr stört mich aber eigentlich, daß Sie in seine Dateien einbrechen.« Wests Stimme hatte einen harten Ton angenommen. Als sie sich auf ihrem Stuhl zurechtsetzte, knarrte das Leder ihres Polizeikoppels. »Und das ist ein Verbrechen. Seine Berichte an Channel Three weiterzugeben. Wie finden Sie das! Es ist, als wenn jemand Ihre Programme stielt und an die Konkurrenz verkauft.«
    »Nein!« schrie Bond. »Nein, ich habe niemandem etwas verkauft!«
    »Dann haben Sie Webb die Geschichten eben gegeben.«
    »Nein!« Bond war jetzt in Panik. »Ich habe nie ein Wort mit ihm gewechselt. Ich habe nur der Polizei geholfen.« Für einen Moment verschlug es West die Sprache. Das hatte sie nicht erwartet. »Welcher Polizei?« fragte sie.
    »Deputy Chief Goode hat mir den Auftrag gegeben.« Aus Angst legte Bond eine Generalbeichte ab. »Sie sagte, es sei Teil einer Undercoverermittlung ihrer Abteilung.«
    Der Stuhl machte ein häßliches Geräusch auf dem Boden, als West aufstand. Als sie bei Hammer zu Hause anrief und die traurige Nachricht von Seth erfuhr, war das wie ein Schlag für sie. »Mein Gott«, sagte West zu Jude, der den Anruf entgegengenommen hatte. »Ich hatte ja keine Ahnung. Ich will sie nicht stören. Kann ich irgend etwas für Sie tun?«
    Hammer nahm ihrem fürsorglichen Sohn den Hörer aus der Hand. »Ist schon in Ordnung, Jude«, sagte sie und klopfte ihm auf die Schulter. »Virginia?« meldete sie sich.
    Goode lag gemütlich auf der Couch und sah sich eine Videoaufzeichnung von True Lies an. Im Kamin zischte die Gasflamme, die Klimaanlage lief auf vollen Touren. Sie erwartete Webbs Anruf. Er hatte versprochen, vor den Achtzehn-Uhr-Nachrichten heimlich vorbeizukommen, und sie wurde langsam unruhig. Wenn er nicht in wenigen Minuten auftauchte, blieb nicht mehr genügend Zeit, irgend etwas zu besprechen oder zu tun. Beim Läuten des Telefons griff sie so hastig nach dem Hörer, als hinge ihr Leben von der Person des Anrufers ab. Mit Chief Hammer hatte Goode nicht gerechnet, ebensowenig damit, daß Hammer sie traurig über Seths Tod informierte. Außerdem ließ Hammer sie wissen, daß sie sie um Punkt sechzehn Uhr dreißig in Goodes Büro sprechen wolle. Euphorisch gestimmt sprang sie mit einem energischen Satz und von der Couch auf. Das konnte nur eines bedeuten: Hammer wollte einen ausgedehnten Urlaub nehmen, um ihre privaten Angelegenhe iten zu regeln, und ernannte Goode für die Zeit zum diensttuenden Chief.
    Hammer hatte allerdings ein ziemlich anderes Szenario für Deputy Chief Jeanny Goode im Sinn. Wenn auch ihre unmittelbare Umgebung nicht recht begriff, wie Hammer in einer derartigen Situation an Arbeit denken konnte, war es für sie die beste Therapie. Ihr Kopf wurde wieder klar. Sie war hellwach, und sie spürte so etwas wie einen heiligen Zorn. Während sie die graue Hose aus glänzendem Baumwollmaterial anzog, dazu eine graue Seidenbluse und eine Perlenkette, fühlte sie sich, als würde schon ein Blick von ihr genügen, um jemanden sich in Luft auflösen zu lassen. Sie brachte ihr Haar in Ordnung und sprühte sich einen Hauch Hermes auf die Handgelenke.
    Dann stieg Chief Judy Hammer in ihren mitternachtsblauen Dienstwagen, schaltete die Scheibenwischer ein, um die Blätter zu entfernen, die der Regen von den Bäumen gerissen hatte. Sie setzte von der Auffahrt rückwärts in die Pine Street. Im selben Moment drangen die ersten Sonnenstrahlen durch die lastende Wolkendecke. Hammer spürte einen Kloß im Hals. Tränen brannten ihr in den Augen. Sie blinzelte und atmete tief durch. Zum erstenmal, seit

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