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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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»Ich weiß das alles, und ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Sie haben es nicht mit Absicht getan. Genug damit«, sagte sie.
    Sie beschloß, es in einem anderen Viertel zu versuchen, jenseits der Remus Road in der Nähe des Tierheims für Hunde. Dort würde nichts passieren. Damit hätte sie auch richtig gelegen, wenn da nicht diese betrunkene Alte gewesen wäre, die sich auf dem Rasen vor der Mount Moriah Primitive-Baptistenkirche die Seele aus dem Leib schrie. Das war auf der Strecke zwischen dem Greyhound-Busbahnhof und dem Presto Grill. Die Nachricht erreichte sie über Funk, und es blieb West nichts anderes übrig, als Verstärkung anzufordern. Sie und Brazil waren etwa vier Blocks von der Stelle entfernt. »Das dürfte keine große Sache sein, und wir werden dafür sorgen, daß es auch keine wird«, sagte West mit Nachdruck. Sie gab Gas und bog nach rechts in die Lancaster.
    Das eingeschossige gelbe Backsteingebäude mit seinen grellbunten Glasfenstern war hell erleuchtet, aber menschenleer. Der fleckige Rasen mit dem Schild JESUS RUFT vorn am Rand war übersät mit Bierflaschen. Eine alte Frau weinte und schrie hysterisch und versuchte, sich von zwei uniformierten Cops loszureißen. Brazil und West stiegen aus, um sich des Problems anzunehmen. Als die Streifenpolizisten den Deputy Chief mit all ihren glänzenden Abzeichen erkannten, wußten sie nicht, wie sie sich verhalten sollten und wurden sichtlich nervös. »Was haben wir denn hier?« fragte West und trat zu ihnen.
    Die Frau schrie aus zahnlosem Mund. Brazil verstand kein einziges Wort.
    »Trunkenheit in der Öffentlichkeit und Ruhestörung«, sagte der Cop, auf dessen Namensschild Smith stand. »Wir haben sie schon öfters aufgegriffen.«
    Die Frau war in den Sechzigern, wenn nicht älter, und Brazil konnte den Blick nicht von ihr wenden. Sie war betrunken und wand sich in dem unbarmherzigen Licht einer Straßenlaterne. Hinter ihr eine Kirche, die sie wahrscheinlich nie betreten hatte. Sie trug ein ausgeblichenes grünes Militär-Sweatshirt und verschmutzte Jeans. Ihr Bauch war angeschwollen, und ihre Brüste erinnerten an Windsäcke bei Flaute. Arme und Beine waren spindeldürr, und das lange schwarze Haar hing ihr wie Spinnweben vom Kopf. Früher hatte auch Brazils Mutter solche Szenen außerhalb des Hauses fertiggebracht, doch heute war das nicht mehr so. Er dachte an einen Abend, als er vom Einkaufen nach Hause kam und seine Mutter vor dem Haus vorfand. Sie schrie die ganze Gegend zusammen und zerhackte gerade den Staketenzaun, als ein Streifenwagen vorfuhr. Brazil versuchte, sie aufzuhalten und gleichzeitig außer Reichweite der Axt zu bleiben. Der Polizist kannte jeden Bürger in Davidson. Daher hatte er darauf verzichtet, Brazils Mutter wegen Ruhestörung und Trunkenheit in der Öffentlichkeit einzusperren, auch wenn er dazu berechtigt gewesen wäre.
    Im flackernden Blaulicht des Streifenwagens überprüfte West den Sitz der Handschellen auf dem Rücken der alten Frau. Hin und wieder mischten sich spitze Schmerztöne unter ihr anhaltendes Jammern. West warf den Officers einen empörten Blick zu. »Den Schlüssel!« sagte sie knapp. »Die sind doch viel zu eng.« Smith war schon seit Urzeiten dabei. Sein Anblick erinnerte West an die abgestumpften und unzufriedenen alten Cops, die am Ende ihrer Dienstzeit als private Wachleute bei irgendeiner Firma anheuerten. Sie streckte die Hand aus, und er reichte ihr den winzigen Metallschlüssel. West ließ die Handschellen aufspringen. Von den harten Stahlfesseln befreit, beruhigte sich die Frau schlagartig. Vorsichtig rieb sie die tiefen, roten Abdrücke an ihren Handgelenken. West wies die Polizisten noch einmal zurecht.
    »Das kann man doch nicht machen. Sie haben ihr wehgetan.« West bat die Frau, ihre schlaffen Arme zu heben, weil sie sie abtasten wollte. Eigentlich, dachte sie, hätte sie dazu Handschuhe anziehen sollen. Aber im Wagen hatte sie keine, denn Einsätze wie diese gehörten längst nicht mehr zu ihren Aufgaben. Außerdem war die Frau schon genug gedemütigt. Es war West unangenehm, Leute abzutasten und zu durchsuchen, und zwar immer schon. Sie erinnerte sich an frühere Zeiten. Auf was war sie da nicht alles gestoßen! Auf so unangenehme Überraschungen wie Fäkalreste, gebrauchte Kondome, Erektionen. Sogar einen Vogelkrallenfetisch hatte sie einmal in der Hand gehabt. Gleich in ihrer Anfangszeit hatte sie einmal kaltes und schmieriges Dosenfleisch aus der Tasche eines minderjährigen

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