Die Hornisse
Strichers gefischt und prompt von ihm noch einen Schlag versetzt bekommen. Bei dieser alten Lady fand sich aber nichts außer einem schwarzen Kamm und einem Schlüssel, den sie an einem Schnürsenkel um den Hals trug.
Sie hieß Ella Joneston. Als die Polizeilady ihr erneut die Handschellen anlegte, blieb sie ganz ruhig. Zwar waren die Stahlringe immer noch kalt, aber sie schnitten ihr nicht ins Fleisch, wie noch vor wenigen Minuten, als diese Mistkerle sie gefesselt hatten. Sie wußte genau, womit, obwohl sie die Hände ja auf dem Rücken hatte und es nicht sehen konnte. Die Handschellen hatten ihr unbarmherzig ins Fleisch geschnitten. Vor Schmerz und Wut hatte sie Gift und Galle gespien. Ihr Herz hatte ihr wild gegen die Rippen gehämmert. Und bestimmt hätte es seinen letzten Schlag getan, wäre nicht dieser blaue Wagen mit der netten Lady aufgekreuzt. Ella Jonestone wußte schon lange, daß ein gebrochenes Herz den Tod bedeutete. Ihres war schon oft ganz kurz davor gewesen, das erste Mal, als sie zwölf war. Damals hatten Jungen aus der Mietskaserne sie in den Dreck gestoßen. Sie hatte sich gerade das Haar gewaschen. Sie stellten Dinge mit ihr an, über die sie nie in ihrem ganzen Leben gesprochen hatte. Sie hatte nur Schmutz und Laubreste aus den Zöpfen geschüttelt und sich gewaschen. Niemand hatte gefragt, was passiert war. Die Polizeilady hier war nett. Zu ihrer Unterstützung hatte sie einen gepflegten Jungen in Zivil bei sich. Er hatte ein freundliches Gesicht. Wahrscheinlich ein Detective. Sie stützten Ella links und rechts, als führten sie sie fein gekleidet zur Ostermesse.
»Warum trinken Sie soviel hier draußen?« fragte die Lady in Uniform. Sie war sachlich, aber nicht von oben herab. Ella begriff nicht, was sie mit hier draußen meinte. Wo sollte Ella denn sonst hin? Also konnte sie nicht weit von ihrem Apartment im Earle Village sein, wo sie vor dem Fernseher gesessen hatte. Am frühen Abend hatte das Telefon geklingelt. Es war ihre Tochter mit der schrecklichen Nachricht von Efrim, Ellas vierzehnjährigem Enkel. Er war mit mehreren Schußwunden ins Krankenhaus eingeliefert worden. Alle waren sicher, daß die weißen Ärzte schon das Menschenmögliche tun würden, aber Efrim war schon immer widerspenstig gewesen. Die Erinnerung trieb Ella heiße Tränen in die Augen. Ella erzählte der Polizeilady und dem Detective die ganze Geschichte. Sie beförderten sie auf den Rücksitz des Streifenwagens. Dort saß sie dann hinter der Trennscheibe, damit sie auch ganz bestimmt nicht auf die beiden Cops losging. Ella breitete Efrims ganzes kurzes Leben vor ihnen aus, beginnend mit dem Tag, an dem sie ihn kurz nach Lornas Entbindung im Arm gehalten hatte. Er war immer in Schwierigkeiten gewesen, genau wie sein Vater. Schon im Alter von zwei Jahren hatte Efrim das Tanzen angefangen. Oft genug zog er unter der Straßenlaterne vor dem Haus eine große Show ab. Später hing er dann mit diesen anderen Jungen herum, die mit ihrem Geld prahlten.
»Ich schnalle Sie jetzt an«, sagte der blonde Detective und legte ihr den Sicherheitsgurt an. Er roch nach Äpfeln und Gewürzen. Die alte Frau dagegen roch streng nach mangelnder Hygiene und nach Schnaps. In Brazil weckte das neue Bilder. Seine Hände zitterten ein wenig, und er brachte sie nicht so schnell wie sonst unter Kontrolle. Er verstand nicht, was die Frau murmelte und worüber sie weinte. Aber jeder Atemzug roch wie eine Kloake bei heißem Wetter. West kam ihm nicht im geringsten zu Hilfe. Sie war einen Schritt zurückgetreten und überließ Brazil den schmutzigen Teil der Arbeit. Seine Finger streiften den Nacken der alten Frau, und er war überrascht, wie weich und warm er sich anfühlte.
»Es wird alles gut«, wiederholte Brazil mehrmals und wußte doch, daß sich das kaum bewahrheiten würde.
West war nicht naiv. Sie wußte genau, daß es bei der Streifenpolizei Probleme gab. Aber wie konnte das unter Deputy Chief Goode auch anders sein? Daß deren Cops reichlich rauh sein konnten oder einfach nur unprofessionell, schockierte sie im Grunde nicht. Doch darüber hinwegsehen konnte sie auch nicht. Sie ging auf die beiden Beamten zu, diese zwar schon alten, aber inkompetenten Streifenpolizisten. Sie sah Smith direkt in die Augen und dachte an die Fälle, in denen sie es als Sergeant mit Leuten wie ihm zu tun gehabt hatte. Auch er gehörte zum alten Eisen. Aus ihrer Sicht taugte er nicht einmal, ihr die Stiefel ordentlich zu putzen. »Lassen Sie mich so
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