Die Hornisse
aus und schlug krachend die Tür zu. Steif stelzte er in den noch dunklen Morgen. Er bekam seine Artikel gerade noch rechtzeitig für die Lokalausgabe fertig und machte auf dem Heimweg einen kurzen Abstecher von der Interstate 77, um sich zwei große Dosen Miller Lite zu kaufen. Er trank beide in einem Zug aus, während er in hohem Tempo weiterfuhr. Brazil hatte die schreckliche Angewohnheit, das Letzte aus seinem Wagen herauszuholen. Da der Tacho nicht funktionierte, konnte er die Geschwindigkeit nur über den Drehzahlmesser schätzen. Er wußte, daß er fast abhob und bestimmt nicht weit von hundertsechzig Stundenkilometern entfernt war. Es war nicht das erste Mal, daß er so raste. Manchmal fragte er sich selbst, ob sich dahinter wohl eine gewisse Todessehnsucht verbarg.
Zu Hause angekommen, sah er als erstes nach seiner Mutter. Sie lag besinnungs los mit offenem Mund in ihrem Bett und schnarchte. Im Dunkeln lehnte er sich an die Wand. Das kleine Notlicht erinnerte ihn an ein mattes, trauriges Auge. Er war deprimiert und enttäuscht. Er dachte an West und fragte sich, warum sie so unnachgiebig zu ihm war.
Als West ihr kleines Haus betrat und die Schlüssel auf die Frühstücksbar warf, erschien Niles, ihr Abessinierkater. Niles folgte ihr auf Schritt und Tritt, genau wie Brazil es den ganzen Tag lang getan hatte. West schaltete die Stereoanlage ein. Elton John ließ sie an die Ereignisse des Abends denken. Sie wechselte auf einen anderen Sender mit einem Song von Roy Orbison. In der Küche öffnete sie mit leisem Knall eine Dose Bier. Sie war in einer rührseligen Stimmung und wußte nicht, warum. Zurück im Wohnzimmer schaltete sie die Spätnachrichten ein. Alles drehte sich um den schrecklichen Mord. Sie ließ sich genau in dem Moment auf die Couch fallen, den Niles berechnet hatte. Er liebte sein Frauchen und wartete, daß er an der Reihe war, während im Fernsehen die Nachrichten über das grausige Verbrechen draußen in der Stadt liefen.
». wird davon ausgegangen, daß auch diesmal ein Geschäftsmann von außerhalb einfach zur falschen Zeit am falschen Ort war«, sagte Webb in die Kamera.
West war unruhig, ausgebrannt und angeekelt, alles auf einmal. Auch Niles machte ihr im Moment keine Freude. In ihrer Abwesenheit war er auf ihren Bücherregalen herumgeklettert. Sie merkte es jedesmal. Wie schlimm war es heute? Drei Fächer hatte er sich vorgenommen und Buchstützen und eine Vase hinuntergeworfen. Was bedeutete Niles schon das gerahmte Foto ihres Vaters vor seiner Farm? Was für eine Katze! West haßte sie. Sie haßte alles und jeden. »Komm her, Käterchen«, sagte sie.
Er schnurrte, weil er wußte, wie sehr sie das mochte. Niles war nicht dumm. Er bog den Kopf geschickt nach hinten und leckte sich das Hinterteil. Dann sah er sein Frauchen an und legte sein schönstes Blau in den leicht schielenden Blick. Solche Gesten ließen das Herz jedes Tierbesitzers dahinschmelzen. West nahm ihn hoch und streichelte ihn. Niles war glücklich.
Nicht so West. Als sie am nächsten Tag zur Arbeit kam, wartete Hammer bereits auf ihren Deputy Chief, und jeder schien das zu wissen. West öffnete gar nicht erst die Tüte mit ihrem Frühstück. Sie ließ alles fallen, eilte über den Flur und fiel fast in Hammers Vorzimmer. Sie hatte das Bedürfnis, Horgess hinter seinem Schreibtisch den Finger zu zeigen. Ihm machte es nämlich sichtlich Spaß, West so herzitiert zu sehen.
»Ich sage ihr Bescheid«, sagte Horgess.
»Ich bitte darum«, gab sie schnippisch zurück, verbarg aber nicht, wie souverän sie sich fühlte.
Horgess war jung und hatte sich den Kopf rasiert. Warum nur? Schon bald würde er von einer Haarpracht nur noch träumen können. Sehnsüchtig würde er sich Filme ansehen, in denen Schauspieler volles Haar hatten.
»Sie können jetzt hineingehen«, sagte Horgess und legte den Hörer auf.
»Das will ich meinen«, sagte West mit einem sarkastischen Lächeln. »Um Himmels willen, Virginia«, sagte Hammer, noch bevor sie ganz im Raum war.
Der Chief griff nach der Morgenzeitung und wedelte damit herum, während sie ärgerlich auf und ab ging. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit trug sie heute eine Hose. Die Farbe des Hosenanzugs war ein sattes Königsblau. Dazu trug sie eine rotweißgestreifte Hemdbluse und weiche, schwarze Lederschuhe. West mußte zugeben, daß ihre Vorgesetzte eine umwerfende Erscheinung war. Sie konnte Bein zeigen oder nicht, niemand wagte es, eine sexistische Bemerkung zu machen.
»Was
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