Die Hornisse
Welt erfährt, er habe sich von einer Frau und einem Kind verprügeln lassen.«
»Ich bin kein Kind«, sagte Brazil.
Das Haus war so, wie er es in Erinnerung hatte. Mit dem Zaun war sie nicht weitergekommen. Brazil stellte keine Fragen und folgte ihr in den hinteren Garten zu einer kleinen Werkstatt. Sie beherbergte eine umfangreiche Werkzeugsammlung inklusive Handkreissäge. West mußte ganze Vogelhäuser, Schränke und sogar Sitzmöbel bauen. So kam es ihm wenigstens vor. Er hatte selbst an seinem Haus schon diese und jene Reparatur erledigt und empfand einen gesunden Respekt vor ihren offensichtlichen Fähigkeiten. Er hatte schon Mühe, ein schlichtes Bücherregal aus dem Supermarkt zusammenzubauen.
»Meine Güte«, sagte er und sah sich um.
»Wieso meine Güte?« Sie schloß die Tür und stellte das Radio an. »Was hat Sie dazu veranlaßt, all das zu machen?«
»Überlebenstraining«, antwortete sie, ging in die Hocke und öffnete einen kleinen Kühlschrank. Es klirrte, als sie zwei langhalsige Flaschen alkoholarmes Southpaw-Bier herausholte. Brazil mochte eigentlich kein Bier, selbst wenn er von Zeit zu Zeit einen Schluck trank. Es schmeckte muffig, machte ihn dumpf im Kopf und am Ende nur müde. Allerdings sollte sie das auf gar keinen Fall erfahren.
»Danke«, sagte er, schraubte den Deckel ab und warf ihn in den Mülleimer.
»Am Anfang konnte ich mir keine Handwerker leisten. Also lernte ich, die Dinge selbst zu machen.« Sie klappte die Pistolenetuis auf, nahm die Waffen heraus und legte sie auf den Tisch. »Außerdem bin ich auf einer Farm aufgewachsen, wie Sie ja schon wissen. Ich habe mir so viel wie möglich von meinem Dad und seinen Leuten abgeguckt.«
»Und was haben Sie von Ihrer Mom gelernt?«
Wie im Schlaf zerlegte West die Pistolen. »Was soll ich von ihr gelernt haben?« Sie sah ihn über den Tisch hinweg an. »Sie wissen schon, Haushaltssachen. Kochen, Putzen, Kindererziehung.«
Sie lächelte und öffnete einen Kasten mit Waffenreinigungsutensilien. »Koche und putze ich etwa nicht selbst? Oder sehen Sie hier eine Ehefrau?« Sie reichte ihm einen Laufreiniger und ein paar Lappen.
Wie gewohnt versuchte er auch beim nächsten großen Schluck, den Geschmack des Biers zu ignorieren. Er war etwas mutiger geworden, bemühte sich aber, zu ignorieren, wie gut sie in ihrem grauen T-Shirt und den Jeans aussah.
»Ich habe selbst mein Leben lang diesen Mist gemacht und bin auch keine Ehefrau«, sagte er.
»Was wissen Sie schon davon«, sagte sie und tauchte ihren Reiniger in eine kleine braune Lösungsmittelflasche. »Nichts«, antwortete er beleidigt und herausfordernd zugleich. »Lassen Sie nicht Ihre Launen an mir aus, okay?« gab West zurück. Sie wollte keine Spielchen spielen. Dafür fühlte sie sich nun wirklich zu alt.
Brazil tauchte seine Reinigungsbürste in das Lösungsmittel. Es roch gut. Zwar hatte er eigentlich nicht die Absicht, ihr weitere Dinge aus seinem Leben zu beichten, doch Bier hatte die Eigenschaft, ihm die Zunge zu lösen.
»Kommen wir doch noch mal auf diese Haus- und EhefrauenSache zurück«, drängte sie.
»Was wollen Sie hören?« antwortete Brazil, ganz Mann. »Erzählen Sie mir doch mal, wie Sie das sehen.« Es interessierte sie wirklich.
»Theoretisch«, sagte er und fing an, den Lauf der .380er zu putzen, »weiß ich es selbst nicht genau. Hat vielleicht was mit der Rollenverteilung zu tun, ist halt so'n Kastensystem, 'ne Hackordnung, Hierarchie, oder so 'ne Art Ökosystem.«
»Ökosystem?« Sie runzelte die Stirn und sprühte Gunk Off auf und in den Lauf, dann auf die anderen Metallteile. »Tatsache ist doch«, erklärte er, »daß das Wesen einer Ehefrau nicht durch das bestimmt wird, was sie tut, sondern durch das, was andere von ihr halten. Ich mache zum Beispiel gerade, was Sie mir aufgetragen haben. Aber das macht mich noch lange nicht zum Sklaven.«
»Haben Sie hier nicht etwas die Rollen verwechselt? Wer hat Ihnen denn Schießunterricht gegeben?« Sie schrubbte das Innere des Laufs jetzt mit einer Zahnbürste. »Sie tun das, was Sie tun wollen. Und ich tue das, worum Sie mich gebeten haben. Umsonst, um das mal festzuhalten. Wer ist da der Sklave?« Sie sprühte die Teile noch einmal ein und reichte ihm anschließend die Dose. Er griff nach der Bierflasche. Bier schmeckte seiner begrenzten Erfahrung nach mit steigender Temperatur immer schlechter. »Gehen wir also mal davon aus, daß Sie erwachsen werden und eines Tages heiraten«, fuhr sie fort.
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