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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Vorstellungen nahmen immer deutlichere Formen an. Der niedliche Junge sollte bekommen, was er verdiente, von hinten, von einem richtigen Mann wie Bubba, dessen Lieblingsfilm nicht umsonst Deliverance - Ausgeliefert hieß. Bubba würde es dem kleinen Arschloch schon zeigen, und wie. Bubbas Haß auf Schwule war so ausgeprägt, daß er stets und überall nach ihnen Ausschau hielt, in jeder Bar, jedem Truck Stop, bei den Politikern und in der Unterhaltungsindustrie.
    West und Brazil ahnten nicht, in welcher Gefahr sie sich befanden. Sie dachten an diesem Dienstagabend nicht an sich. Blaulicht flackerte über Glasscherben und die verbeulten Überreste eines Streifenwagens, der in einem Wohnviertel in der Nähe des Myers Parks in einen Unfall verwickelt gewesen war. Raines und andere Sanitäter versuchten, aus einem Mercedes 300 E mit Hydraulikspreizern Leichen zu bergen. Der Wagen hatte sich um einen Baum gewickelt. Sirenen heulten. Die Polizei hatte eine Straßensperre errichtet. Man sah, wie entsetzt alle waren und unter welcher Anspannung sie standen. Brazil parkte seinen BMW so nahe an der Unfallstelle wie möglich. Er rannte auf das Blaulicht und die laufenden Motoren zu.
    Als West eintraf, schoben Cops das Absperrgitter beiseite, um sie durchzulassen. Sie entdeckte Brazil, der sich bereits Notizen machte. Er war benommen vor Entsetzen, als Raines und seine Kollegen eine weitere blutüberströmte Leiche aus dem Mercedes zogen und in einen Plastiksack mit Reißverschluß legten. Auf der blut- und ölverschmierten Fahrbahn lagen nun schon drei Opfer. West starrte auf das Wrack des Streifenwagens mit dem Symbol der Stadt Charlotte auf den Türen, dem Hornissennest. Dann fiel ihr Blick auf ein weiteres, in der Nähe stehendes Polizeifahrzeug, in dem Officer Michelle Johnson auf dem Rücksitz zusammengesackt war. Sie hielt sich ein blutiges Taschentuch vor das verzerrte Gesicht und zitterte am ganzen Körper. West ging eilig auf sie zu, öffnete die Wagentür und setzte sich neben die fassungslose Beamtin. »Wird schon alles gut«, sagte West und legte den Arm um die junge Frau, die das soeben Geschehene noch nicht begreifen konnte. »Wir müssen Sie ins Krankenhaus bringen«, sagte West zu ihr. »Nein! Nein!« schrie Johnson und legte schützend die Hände über den Kopf wie bei der drohenden Notlandung eines Flugzeugs. »Ich habe ihn erst gesehen, als er schon an der Ampel vorbei war. Ich hatte Grün! Ich hatte gerade einen Funkruf, aber die Ampel stand auf Grün. Das kann ich beschwören. Großer Gott! Nein, nein. Bitte. Nein. Bitte, bitte, bitte.«
    Brazil trat vorsichtig an das Fahrzeug und hörte, was Johnson sagte. Durch das Seitenfenster sah er zu, wie West die Polizistin beruhigte, die gerade in ein anderes Fahrzeug gekracht war und dessen sämtliche Insassen getötet hatte. West sah einen Moment hinaus. Sie erwiderte Brazils Blick und hielt ihn für einen Moment fest. Seine Hand mit dem Stift darin erstarrte. Er wußte, daß er die Notizen, die er sich jetzt noch machen konnte, in keiner Story verwenden würde. Er ließ Stift und Block sinken und ging langsam fort. Er war nicht mehr derselbe Mensch und nicht mehr derselbe Reporter, der er gerade noch gewesen war.
    Brazil fuhr zurück in die Redaktion. Ohne Eile ging er an seinen Schreibtisch. Mit einem Mal fühlte er sich hier unwohl. Er setzte sich, gab sein Paßwort ein und rief das Dateiverzeichnis auf. Betty Cutler, eine alte Krähe mit Unterbiß, war diese Nacht Redakteurin vom Dienst. Nervös war sie auf und ab gelaufen und hatte auf Brazil gewartet. Nun stürzte sie sich auf ihn. Wie immer zog sie beim Reden ständig die Nase hoch. Ob sie am Ende ein Kokainproblem hatte? Brazil war das jedenfalls schon durch den Kopf gegangen. »Das hier muß in einer Dreiviertelstunde draußen sein«, sagte sie. »Was hat die Polizistin gesagt?«
    Brazil tippte die Überschrift ein und sah dann in seine Notizen. »Welche Polizistin?« fragte er zurück, obwohl er sehr genau wußte, wer gemeint war.
    »Himmel noch mal, die Polizistin, die gerade eine fünfköpfige Familie ausgelöscht hat.« Cutler schniefte und entblößte die unteren Zähne.
    »Ich hab sie nicht interviewt.«
    Das konnte Cutler, die Nachtredakteurin, nicht fassen. Sie wollte es einfach nicht glauben. Mit einem Glitzern im Blick starrte sie ihn durchdringend an. »Was, zum Teufel, meinen Sie damit, Sie haben sie nicht interviewt, Brazil!« Sie war laut geworden, damit alle Anwesenden sie hörten. »Sie

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