Die Hornisse
Knäuel von rotem Denim verfangen, fiel er zu Boden. Wyona hatte den Revolver durch die Glasscheibe auf den Kopf des Fahrers gerichtet.
Slim sah es einem Blick sofort an, wenn er Entschlossenheit ausstrahlte. Diese Schlampe würde auf ihn schießen, wenn er nur mit der Wimper zuckte. Langsam löste er die Hände vom Lenkrad und hob sie hoch.
»Nicht schießen«, bettelte er. »Bitte nicht schießen.«
»Nimm dein Autotelefon und ruf die 911 an, auf der Stelle«, schrie Wyona ihm zu. Er tat es.
»Sag Ihnen, wer ihr seid und was ihr getan habt. Und sag ihnen noch, wenn sie nicht in genau zwei Minuten hier sind, puste ich dir dein verdammtes Spatzengehirn weg!« schrie sie. Ihr Fuß ruhte fest auf Wheatie, der flach und zitternd, das Gesicht nach unten, auf dem Boden lag. Die Hände hielt er sich schützend über den Kopf. »Wir haben gerade Hardee's überfallen und sind hinter der Payless an der Central Avenue«, schrie Slim ins Telefon. »Bitte kommen Sie schnell!«
In der Notrufzentrale wußte Selma, die den Anruf entgegennahm, nicht genau, was sie davon halten sollte. Dann gab sie ihm aber Vorrang, weil sie instinktiv spürte, daß sich jeden Augenblick eine Tragödie abspielen konnte. Radar war für diese Nacht noch nicht fertig mit West und gab ihr den Notruf weiter.
»Verdammt noch mal«, fluchte West. Sie fuhren gerade an der Piedmont Open Middle School vorbei. West versuchte, weiteren Problemen aus dem Weg zu gehen, und wollte die Nummer ihrer Einheit nicht mehr hören, nie mehr.
Brazil dagegen konnte gar nicht schnell genug nach dem Mikrofon greifen. »Einheit 700 hört«, sagte er.
»Vorfall unbekannter Art Block viertausend, Central Avenue«, sagte Radar mit einem Lächeln.
West trat das Gaspedal durch, raste die Tenth Street hinunter und bog bei Block eintausend in die Central ein. Bis sie mit hohem Tempo den Veterans Park und den Saigon Square passierten, hatten sich ihr schon mehrere Einheiten zur Verstärkung angeschlossen. Inzwischen hatte sich nämlich bei sämtlichen Cops herumgesprochen, daß ihr Deputy Chief bereits mehrere gefährliche Einsätze hinter sich hatte, ohne daß ihr jemand zu Hilfe gekommen war. Als sie das Tankstellengelände erreichte, hatte sie bereits sechs Streifenwagen mit Blaulicht im Schlepptau. Das war zwar ungewöhnlich, aber West stellte keine Fragen. Sie war dankbar dafür. Sie und Brazil stiegen aus. Wyona ließ die Waffe sinken, als sie Hilfe nahen sah.
»Die Burschen haben versucht, mich auszurauben«, sagte sie zu Brazil. »Wer war das?« fragte West.
»Dieses weiße Stück Scheiße hier unter meinem Fuß«, sagte sie zu Brazil.
West sah das ungepflegte Haar, die pickelige Haut, T-Shirt und Kappe der Hornets. Die Jeans des Jungen hatten sich um seine Basketball-Schuhe gewickelt, so daß er nun in gelben Boxershorts dalag, neben ihm eine große Tüte mit Hähnchenteilen und Beilagen.
»Er kam rein, bestellte zwölf Stück, nur Brustfleisch, und zog dann dieses Ding raus.« Wyona überreichte Brazil die Waffe, schließlich war er ein Mann. Sie hatte noch nie mit einer Polizistin zu tun gehabt und wollte auch jetzt nicht damit anfangen. »Ich bin ihm bis hierhin nachgerannt, wo diese Hurensöhne auf ihn gewartet haben.« Sie gestikulierte wütend und zeigte auf Slim, Fright und Tote, die ängstlich in ihrem Geländewagen kauerten. West nahm Brazil die Waffe ab. Sie blickte zu den sechs Officers hinüber, die sich hinter ihr versammelt hatten und die Szene beobachteten.
»Festnehmen«, sagte sie zu der Truppe, und an Wyonas Adresse fügte sie hinzu: »Vielen Dank.«
Die Jungen mußten sich nebeneinander aufstellen, damit ihnen Handschellen angelegt werden konnten. Da sie nun den offiziellen Täterstatus erfüllten und außer Lebensgefahr waren, kehrte auch ihr Mut zurück. Haßerfüllt sahen sie die Cops an und spuckten vor ihnen aus. Im Wagen warf West Brazil einen kurzen Blick zu, und er gab auf dem MDT durch, daß der Einsatz abgeschlossen war. »Warum sind wir so verhaßt?« fragte er.
»Die Menschen neigen dazu, andere so zu behandeln, wie sie selbst behandelt werden«, antwortete sie. »Cops, zum Beispiel. Viele machen es genauso.«
Schweigend fuhren sie eine Weile weiter durch ärmliche Viertel, hinter denen die glitzernde City aufragte.
»Und Sie?« fragte Brazil. »Wie kommt es, daß Sie diesen Haß nicht verspüren?«
»Ich hatte eine schöne Kindheit.«
Die Antwort ärgerte ihn. »Nun, bei mir war das anders, und trotzdem hasse ich nicht alle
Weitere Kostenlose Bücher