Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
ich kichern musste.« Sie hielt inne, erinnerte sich, in ihrem Gesicht spiegelte sich das Vergnügen dieser Erlebnisse. Dann wurde sie traurig. »Ganz gleich wie zufrieden und selbstgenügsam sich Victoria heute gibt, ich glaube, sie fühlte sich als Kind betrogen. Sie tut mir wirklich Leid.«
»Sie würde es nicht ertragen können, das zu wissen«, sagte ich.
Meine Mutter nickte und lachte.
»Dennoch glaube ich, dass sie auf mich eifersüchtig ist, obwohl sie mein Leben oberflächlich nennt. Also«, sagte sie und stand auf, »ich fahre jetzt besser wieder zurück. Du kannst mich anrufen, wenn irgendetwas passiert oder du etwas brauchst. Mutter kommt Sonntag wieder nach Hause, und die Krankenschwester, eine Mrs Griffin, begleitet sie.«
Ich erhob mich, und sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln.
»Irgendwie war ich, nachdem ich dich erst kurz kennen gelernt hatte, zuversichtlich, dass du hier Erfolg haben würdest. Du brauchtest nicht lange, um den Übergang zu einem besseren Leben zu schaffen. Zu einer Welt der Möglichkeiten. Deine Mama hatte wohl Recht. Man kann die Forderungen des Blutes nicht verleugnen. Du bist viel zu sehr wie ich, wie meine Mutter, wie mein Vater, wie die Hudsons.«
»Ich bin nicht wie Victoria«, beharrte ich.
»Irgendwie macht das Victoria wohl auch glücklich«, sagte sie und lachte. Sie umarmte mich und ging hinaus.
Ich hasste es, sie gehen zu sehen. Ich fühlte mich so leer. Nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, stand ich einen Moment im Flur. Die Stille in diesem großen Haus umgab mich. Ich war sogar dankbar für Merilyns Schritte und ihre jammernde Piepsstimme, mit der sie mich fragte, ob ich gedünsteten Lachs oder die Reste vom Truthahn zum Abendessen haben wollte.
»Nehmen Sie sich einen Abend frei, Merilyn«, erwiderte ich.
»Was?«
»Sie können sich den Abend freinehmen. Ich mache mir mein Abendessen selbst«, sagte ich.
»Aber ich bin die Köchin und …«
»Nur meine Wenigkeit ist da«, sagte ich lächelnd.
»Na gut.Wie Sie wollen«, sagte sie, »aber sorgen Sie dafür, dass Sie hinterher Ihr Chaos wieder aufräumen.«
Sie wirbelte herum und zog sich in ihr Quartier zurück. Ich lief nach oben, um Mama anzurufen. Sie war glücklich,
von mir zu hören, und glücklich zu erfahren, welche schönen Dinge mir widerfuhren. Ich erzählte ihr von Großmutter Hudsons Operation und erklärte ihr, dass die Aussichten gut stünden.
»Da bin ich aber froh«, sagte sie. »Ich glaube nicht, dass deine richtige Mutter dich bei sich zu Hause aufnehmen würde, wenn diese Frau sterben würde.«
»Es geht schon alles in Ordnung«, sagte ich. Aus irgendeinem Grund wollte ich mich nicht kritisch zu meiner Mutter äußern, obwohl ich jeden Grund dazu hatte, obwohl ich immer jeden Grund dazu haben würde.
Nach einem Augenblick des Schweigens erzählte Mama mir von Ken. Ich spürte, dass sie mit sich gerungen hatte, ob sie es vor mir geheim halten sollte.
»Ken steckt wieder in Schwierigkeiten«, sagte sie.
»Was ist es diesmal?«
»Er ist vor ein paar Tagen verhaftet worden, weil er zusammen mit einem anderen Mann versucht hat, ein Spirituosengeschäft auszurauben. Er spürte mich hier auf, um festzustellen, ob ich ihm helfen könnte, aber was kann ich schon tun? Ich habe kein Geld für Rechtsanwälte.«
»Das tut mir Leid, Mama.«
»Ich weiß, Schätzchen, aber dieser Vorfall macht mich umso glücklicher, dass ich dich dort weggebracht habe. Denk nicht mehr daran. Es tut mir Leid, dass ich es dir erzählt habe.«
»Hast du schon etwas von Roy gehört? Weiß er es?«
»Ja, er rief an. Es hat ihn nicht so aus der Fassung gebracht wie dich. Er fragte nach dir. Er sagte, ihm ginge es gut.«
»Hast du seine Adresse?«
Sie las sie mir vor. Nachdem wir noch ein bisschen miteinander
geredet hatten, holte ich den Brief, den ich Roy geschrieben hatte, heraus und adressierte ihn. Morgen würde ich ihn abschicken.
Hinterher genoss ich meine Einsamkeit richtig und bereitete mir selbst eine Mahlzeit zu. Ich kochte den Fisch so, wie Mama und ich es gemacht hatten, und bereitete Kartoffelpüree zu, das cremig und üppig war, nicht fettig wie bei Merilyn. Es war die beste Mahlzeit, die ich zu mir genommen hatte, seit ich hierher gekommen war. Sie gab mir das Gefühl, wieder bei meiner Familie zu sein und mit allen um den Tisch herum zu sitzen wie in glücklicheren Zeiten. Beni beklagte sich wie üblich über irgendetwas, und Roy hänselte sie. Ken prahlte mit den
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