Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
wären sie die eigenen Kinder. Ich mochte sie von Anfang an, weil viele von Mamas Sprüchen auch zu ihren Weisheiten gehörten. Was ich besonders an ihr bewunderte, war ihr Selbstbewusstsein. Wenn ich irgendetwas in der Küche zu tun hatte oder ihr half, etwas vorzubereiten, fühlte sie sich nicht bedroht wie Merilyn.
Jake mochte sie auch, dabei genoss er es, die Chancen für Großmutter Hudsons frisch angeheuerte Dienstboten einzuschätzen.
»Diese hier könnte länger bleiben«, meinte er. »Sie ist altmodisch genug, um der Königin zu gefallen.«
Ich lachte und fragte ihn dann, ob Mrs Hudson wusste, wie oft und wie sehr er sich über sie lustig machte.
»Oh, ich mache mich nicht über sie lustig, Prinzessin. Ich necke sie hin und wieder ein bisschen, aber sie weiß, dass ich sie bewundere. Sie weiß es«, sagte er, und seine Stimme verklang, während sein Blick verhangen in die Ferne stierte.
»Sie kannten sie, als sie jünger war, Jake.War sie immer so stark und unabhängig?«
»Ja«, sagte er, ohne zu zögern. Er schaute mich an und lächelte. »Sie war immer eine Frau, die wusste, was sie wollte,
und bekam, was sie wollte. Niederlage und Enttäuschung kommen in ihrem Vokabular nicht vor. Ich bedauere den Narren, der ihr in die Quere kommt«, fügte er hinzu. »Warum?«, fragte er, als er plötzlich über meine Frage nachdachte. »Droht sie wieder, Sie in den Kerker zu werfen?«
»Nein«, antwortete ich und lächelte in mich hinein. Wenn Jake wüsste, dass Großmutter Hudson mich in ihrem Testament bedacht hatte, wäre er dann schockiert? Oder etwa nicht, fragte ich mich. Anscheinend wusste er viel mehr über alle in dieser Familie, als ich von einem Chauffeur erwartet hätte.
Er starrte mich eine ganze Weile an und schüttelte dann lächelnd den Kopf. Auf dem Weg von der Schule nach Hause hielten wir an, um sein Pferd anzuschauen. Er verbreitete solch ein Gefühl von Zufriedenheit, wenn er das Fohlen betrachtete. Bestimmt wäre er ein ganz wundervoller Ehemann und Vater gewesen.
»Wie kommt es, dass Sie nie geheiratet und eine Familie gegründet haben, Jake?«, fragte ich ihn.
»Ich weiß es nicht, Prinzessin«, sagte er. »Vermutlich stand es einfach nicht in den Sternen.«
»Glauben Sie, dass Dinge passieren, weil sie vorherbestimmt sind, Jake?«
Er drehte sich mir zu, wieder mit diesem halben Lächeln im Gesicht.
»Ich weiß, dass Sie eine ziemlich clevere junge Lady sind und viel lesen und viel nachdenken, Rain, aber ich denke einfach nicht so viel nach. Ich nehme es so, wie es kommt, so wie das Blatt, das dort im Wind treibt«, sagte er und deutete auf ein Blatt, das sich von einem Zweig losgerissen hatte
und auf das hohe Gras hinuntertanzte. »Wo ich lande, dort bin ich.«
»Vielleicht ist das so am besten«, sagte ich.
Er zuckte die Achseln. »Weiß nicht. Wie gesagt, ich denke nicht darüber nach«, meinte er und betrachtete weiter voller ehrfürchtigem Staunen und Wohlgefallen sein wunderschönes Pferd.
Ich wusste nicht genau, wie alt Jake war, aber nach dem, was er mir erzählt und was er beschrieben hatte, musste er genauso alt oder sogar ein wenig älter als Großmutter Hudson sein. Sie waren so verschieden und dennoch, wenn sie einander anschauten, sah ich etwas zwischen ihnen, eine Anerkennung, ein besonderes Verständnis füreinander, das nur sie teilten. Wie sehr wünschte ich mir, ich könnte Jake eines Tages die Wahrheit sagen über mich und diese Familie und hören, was er über all das zu sagen hatte.Vielleicht betrachtete ich ihn als den Vater, den ich gerne gehabt hätte, aber nie hatte.
Noch ein Traum, dachte ich. Ein weiterer Traum. Ich schob das alles beiseite und machte weiter mit meinen Tagen und Nächten, konzentrierte mich darauf, was wirklich war und was sein musste.
Gegen Ende der Woche wurde ich von einem Anruf von Brody überrascht. Da ich nichts von ihm gehört und auch Großmutter Hudson ihn nicht erwähnt hatte, vergaß ich ganz, dass er möglicherweise kommen wollte. Er rief am frühen Abend an. Sobald ich seine Stimme hörte, begann mein Herz wie wild zu klopfen. Er hörte sich auch nervös an.
»Was macht das schreckliche Stück?«, neckte er mich.
»Es ist schrecklich. Alle einschließlich des Regisseurs sind
besorgt. Einige Schauspieler können ihre Rolle immer noch nicht gut genug«, erzählte ich ihm, was keine Lüge war.
»Zumindest braucht ihr euch keine Gedanken um die Kulissen zu machen, stimmt’s?«
»Ja, aber Mr Bufurd versucht ein paar
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