Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
trug. Ein weiterer Streifenbeamter kam heraus, dann noch einer.
»Gib mir deinen Namen und deine Telefonnummer. Ist deine Mutter oder dein Vater zu Hause?«
»Ja, sie sind beide zu Hause«, sagte ich. Ich gab ihm unsere Telefonnummer. Ich wollte all seine Fragen so schnell wie möglich beantworten, damit auch ich ein paar Antworten bekam. »Was ist mit Beni? War sie da drinnen? Haben sie sie mitgenommen? Sagen Sie es mir!«, schrie ich.
Er sah erst seinen Partner und dann mich an. An ihrem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass etwas nicht stimmte.
»Beni!«, schrie ich und sprang auf die Tür zu. Die Polizistin hielt mich zurück.
»Schätzchen, da willst du bestimmt nicht reingehen«, sagte sie.
»Warum? Was ist mit meiner Schwester passiert? Geht es ihr gut? Sagen Sie es mir.«
»Das Mädchen da drinnen ist tot«, sagte sie. »Sie wurde erstochen, richtig übel zugerichtet. Es tut mir Leid.«
Ich schaute sie an, sah aber ihr Gesicht überhaupt nicht. Bis zum heutigen Tag kann ich mich nicht daran erinnern. Ich spürte ihre Arme um mich, und dann merkte ich, wie meine Beine verschwanden, als die Finsternis aus dem Lagerhaus herausströmte und mich umhüllte, sich über mich ergoss wie eine Flut.
Ich versank und ging unter, und als ich wieder zu mir kam, war ich wieder auf der Rückbank des Streifenwagens. Ein Sanitäter beugte sich über mich.
»Immer mit der Ruhe«, sagte er, sobald ich die Augen öffnete. Das Riechsalz brachte mich zum Würgen.
Ich brauchte einen Augenblick, bis ich mich erinnerte, wo ich war und was passiert war.
Ich fing an, unkontrolliert zu schluchzen, und zitterte am ganzen Körper.
»He«, sagte er. »Ganz ruhig.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Es ist meine Schuld«, sagte ich mit brechender Stimme. »Ich bin weggelaufen und habe sie zurückgelassen. Es ist meine Schuld.«
KAPITEL 7
Lebewohl
W enn Beni sehen könnte, wie Mama auf ihren Tod reagierte, hätte sie nie irgendwelche Zweifel an Mamas tiefer Liebe zu ihr gehegt. Ich musste nur in Mamas Augen schauen, um wieder hysterisch anzufangen zu weinen. Zuerst sah Mama aus wie jemand, der so verwirrt ist, dass er sich immer noch in einem Alptraum gefangen fühlt. Sie hörte zu, wenn Leute mit ihr sprachen, aber ich glaube, sie verstand kein einziges Wort. Ihre Augen erinnerten eher an winzige Spiegel, die die Bilder reflektierten und verhinderten, dass sie in ihr Gehirn eindrangen.Von dem Augenblick an, als ihr klar wurde, dass Beni von ihr gegangen war, verschloss sich ihr Gehirn, eine schwere Eisentür knallte zu, und weigerte sich, eine weitere niederschmetternde Botschaft entgegenzunehmen.
Immer wenn sie mich anschaute, lag eine flehentliche Bitte in ihrem Blick. Ich konnte es förmlich hören, auch wenn sie nicht sprach. »Rain, sag, dass das nicht passiert ist. Sag, dass es nicht wahr ist. Sag mir, dass du Beni nie mit zu diesem Lagerhaus genommen hast. Nicht du, Rain, nicht meine zuverlässige, teure Rain. Bitte. Bitte weck mich auf. Schüttele mich heftig, dass die Sorgen und diese Tragödie von meinen Schultern abfallen. Feg sie herunter und kipp sie in die Gosse, wo sie hingehören. Rain?«
Mein Herz fühlte sich an wie zerfetzt. Ich weinte so heftig, dass mir die Rippen schmerzten. Die Polizei brachte Mama, Ken und Roy ins Leichenschauhaus, um Beni zu identifizieren. Ihr Anblick war so grauenhaft, dass Roy zu einem Wachsbild seiner selbst schrumpfte. Er wirkte blutlos, hohl, so niedergeschmettert, dass seine Schultern herabsanken und sein Hals so schwach wurde, dass er kaum noch den Kopf hochhalten konnte.
Selbst Ken schwieg. Er sprach kein Wort, bis wir alle wieder zu Hause waren und er die Ereignisse in seine ganz besondere, verquere Sicht der Welt einpassen konnte.
Irgendwie gelang es ihm, die Sache so zu drehen, dass sie ein Schlag gegen seine eigene persönliche Zukunft war.
»Gerade wenn ein Mann seine Kinder so weit großgezogen hat, dass sie ihm in Zeiten der Not helfen können, passiert so etwas. Wo ist die Polizei, wenn du sie brauchst? Niemand kümmert sich um uns Leute.«
Er fing an, stark zu trinken. Nur wenige Sekunden, nachdem wir zu Hause angekommen waren, fing er mit seiner Volksrede an. Mama, dem Zusammenbruch nahe, ging zu Bett. Roy half ihr. Ich schleppte mich benommen hinterher, hatte Angst, irgendjemanden zu berühren oder ein Wort zu sagen. Mama, Ken und Roy hatten einiges von der Polizei erfahren, aber bis jetzt hatte sich noch niemand direkt an mich gewandt, um die grauenhaften
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