Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
Fleisch und Blut zurück. Du kehrst in eine sicherere Welt zurück. Dafür werde ich sorgen«, versprach sie mir.
Ich bin mir sicher, dass mein Herz stehen blieb und wieder einsetzte. Ich schüttelte den Kopf.
Aber das Wort »nein« gab es in Mamas Wortschatz nicht mehr. Sie hatte die Hölle durchgemacht, als sie Beni verlor. Sie war fest entschlossen, das nicht noch einmal mitzumachen, ganz gleich um welchen Preis, selbst wenn es bedeutete, mich zu verlieren. Sie war wie die Mutter in der Bibel, als König Salomon drohte, das Kind in zwei Stücke zu
schneiden. Lieber verlor sie mich, als zu erleben, dass mir Schaden zugefügt wurde.
Ich wollte sie dafür hassen, dass sie auch nur daran dachte, aber in meinem tiefsten Herzen wusste ich, dass ihre Gedanken wie Blumen waren, die aus einem Beet der Liebe hervorsprossen.
Ich konnte diese Gegend hassen. Ich konnte die Mädchen hassen, die mir das angetan hatten, ich konnte sogar mich selbst hassen.
Aber Mama würde ich niemals hassen.
KAPITEL 8
Von Angsicht zu Angesicht
D ie Brandwunden schmerzten beim Gehen, deshalb blieb ich nach dem Überfall fast eine Woche zu Hause. Die Polizei verhaftete Nicole, aber wegen ihres Alters wurde sie als Jugendliche behandelt und bekam eine Bewährungsstrafe. Roy fand, es sei reine Zeitverschwendung gewesen, auch nur Anzeige zu erstatten. Nicole besuchte bereits wieder die Schule und wurde von ihren Gefolgsleuten wie eine Heldin gefeiert, während ich mich zu Hause erholte und den Unterricht verpasste.
Roy war immer noch sehr wütend darüber und über die Unfähigkeit der Polizei, Jerad und seine Gang zu verhaften. Durch diese neuerliche Frustration wurde das Feuer in seinem Herzen nur weiter geschürt. Jerad wurde an einer Reihe von Orten gesehen, aber anscheinend gelang es der Polizei nie, rechtzeitig dorthin zu gelangen, um ihn festzunehmen. Es gab so viele Probleme und andere Verbrechen, um die sie sich kümmern mussten, dass Roy sich sicher war, diesen Fall hatten sie ganz unten in ihren schornsteinhohen Stapel von Fällen gelegt. Mama und ich wussten, dass Roy von Zeit zu Zeit ausging, um die Hip-Hop-Lokale zu durchkämmen in der Hoffnung, auf Jerad zu stoßen. Wir waren wie zwei Menschen, die sich einen Film anschauten und in gefährlichen Momenten die Luft anhielten. Wir lagen
beide mit offenen Augen im Bett, bis wir ihn zurückkommen hörten.
Und dann, eines Abends gegen Ende meiner Genesungswoche, hörten wir die Neuigkeit, dass Jerad in einem verlassenen Gebäude tot aufgefunden worden war, Opfer einer Überdosis. Seine Freunde kamen plötzlich aus den Löchern gekrochen und gaben bereitwillig zu, dass Jerad allein verantwortlich war für Benis Tod. Ich dachte, Roy würde sich darüber freuen, aber diese Neuigkeit frustrierte ihn noch mehr. Er hatte keine Gelegenheit bekommen, selbst Gerechtigkeit zu üben und sich an Jerad zu rächen, und die anderen, die vermutlich genauso schuldig waren, kamen ungestraft und ungeschoren davon.
Ich habe Roy noch nie angespannter erlebt; seine Nervenenden waren wie Zündschnüre an Dynamitstangen, die nur darauf warteten zu explodieren. Immer wenn er sprach, schimpfte er darüber, wie heruntergekommen unsere Gegend war und wie untätig die Regierung. Er hörte sich immer mehr wie Ken an. Er war aufbrausend, und zum ersten Mal erlebte ich, wie er hochprozentigen Alkohol trank. Mama machte sich sehr große Sorgen, auf ihrer Stirn zeichneten sich tiefe Kummerfalten ab.
Schließlich kam es zum unausweichlichen Kampf der Titanen. Roy und Ken gerieten in einen erbitterten Streit, weil Ken keine Arbeit gefunden hatte und seine ganze Zeit in Kneipen verbrachte, wo er seine Arbeitslosenunterstützung vertrank. Der Streit brach eines Tages am späten Abend aus. Mama und ich waren bereits zu Bett gegangen. Ich war so weit, dass ich wieder ohne Schmerzen gehen konnte, und freute mich darauf, rauszugehen und wieder die Schule zu besuchen, trotz Nicole und ihrer Gang.
Ich wachte von Kens und Roys lauten Stimmen auf. Bald hörte ich, wie eine Flasche zerbrach und ein Stuhl umkippte. Ich sprang aus dem Bett und ging zur Tür. Dort sah ich, wie Roy Ken über den Tisch stieß. Der landete auf einem Stuhl, der unter ihm zusammenbrach. Schwankend erhob Ken sich, Blut tropfte ihm an der Seite des Kopfes herunter. Er drohte Roy mit der Faust und wollte wieder auf ihn losgehen. Mama, die in der Schlafzimmertür stand, schrie auf, und Ken drehte sich zu ihr um.
»Das ist ja’ne feine Art, den Mann
Weitere Kostenlose Bücher