Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
trocken hinzu, als sie sich abwandte.
Wenn man selbst unglücklich ist, kann man nicht anders, als alle um sich herum auch unglücklich zu machen, dachte
ich. Wenn ich in meinem Koffer voller Mitgefühl noch Platz hätte, würde ich auch noch etwas Mitleid für sie und für mich hineinstopfen. Aber im Augenblick passte keine einzige Träne mehr hinein.
Der Fahrer stellte mein Gepäck auf den Boden und ging hinaus, um meine restlichen Sachen zu holen. Ich sah zu, wie er und Merilyn die Treppe hinuntergingen, dann betrat ich mein Zimmer, holte tief Luft und schluckte meine Ängste herunter wie ein Kind, das gezwungen wird, etwas Ekelhaftes zu essen, das angeblich gut für es sei.
Nachdem alle Sachen hochgebracht worden waren, packte ich meine Kleidung aus und räumte alles in die Kommode und den begehbaren Kleiderschrank. Selbst mit all den Sachen, die meine Mutter mir gekauft hatte, wirkte meine Garderobe erbärmlich und nahm kaum ein Zehntel des zur Verfügung stehenden Platzes ein. Es würde ein Vermögen kosten, das alles voll zu räumen, dachte ich.
Die Matratze auf meinem Bett war fest, aber die Kissen waren riesig und kuschelig wie Wolken. Ich fuhr mit der Hand über die weiche Steppdecke. Alles duftete neu und frisch.War das alles gerade erst für mich gekauft worden oder war es schon ewig hier?
Ich schaute ins Badezimmer und fand den Föhn, den Make-up-Spiegel, die große rosa Badewanne und Duschkabine makellos geputzt vor. Sogar die Handtücher wirkten brandneu. Ich hatte eine elektrische Zahnbürste, und als ich den Schrank öffnete, fand ich ihn ausgestattet mit allem – von Pflaster bis Haarshampoo und Pflegespülung.
Mit dem Schminktisch war es das Gleiche. Dort lagen neue Bürsten und Kämme, Scheren und Pinzetten, Cremes und Parfum. Als ich an einer offenen Flasche roch, erkannte
ich den Duft als denjenigen, den meine Mutter getragen hatte. Das Parfum konnte nicht übrig geblieben sein aus der Zeit, als sie hier lebte. Entweder sie oder meine Großmutter hatte es gekauft, aber woher wussten sie, ob ich es auch mochte? Parfum ist doch etwas so Persönliches.
Ich ging zum Fenster und schaute hinaus in die Parkanlage. Nicht weit weg entdeckte ich einen großen See. Es sah so aus, als ob es dort einen Bootssteg gab, an dem zwei Ruderboote vertäut lagen. Aus der Höhe und der Entfernung erinnerte das Wasser an eine Schicht klares dünnes Eis, fand ich.Wie schön es hier ist, dachte ich.Wie wünschte ich mir, Mama könnte das sehen.Vielleicht würde sie es eines Tages auch.
Plötzlich merkte ich, dass ich sehr hungrig war, und eilte hinaus. Bevor ich die Treppe hinunterging, hielt ich inne. Ich hatte das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden, aber als ich mich umdrehte und die Türen zu den anderen Zimmern anschaute, waren sie alle geschlossen. Ich lauschte einen Moment und hopste dann die Stufen hinab. Merilyn musste auf mich gewartet haben, denn in dem Augenblick, als ich die Treppe umrundete, hörte ich sie stöhnen: »Endlich.«
Ich sah, wie sie durch eine Tür verschwand. Ich fühlte mich seltsam und verlegen, einfach dort hineinzuschlendern und mich ganz alleine an den langen polierten Holztisch zu setzen. Am entgegengesetzten Ende war für mich gedeckt worden. Langsam ging ich dorthin und betrachtete dabei das riesige Wandgemälde. Es stellte eine Landschaft mit einem Bach und Hügeln, Tieren und kleinen Bauernhöfen dar. Irgendetwas an dem Bild erweckte den Eindruck, als sei der Ort sehr weit entfernt. Nachdem ich mich hingesetzt hatte, starrte ich es immer weiter an.
Merilyn kam durch die Küchentür und trug ein Silbertablett mit einer Platte voll Geflügelsalat, Kräckern und kleinen Brötchen. Sie stellte das Tablett auf einen Serviertisch und brachte die Speisen auf den Tisch.
»Was möchten Sie gerne trinken?«
»Nur Wasser, danke«, sagte ich und nickte zu dem Krug hin, der bereits vor mir stand.
Nachdem sie das Essen hingestellt hatte, goss sie mir ein Glas Wasser ein. Dann trat sie einen Schritt zurück und wartete, als wollte sie sehen, ob mir der Geflügelsalat schmeckte oder nicht. Ich warf ihr einen Blick zu und probierte.
»Er ist sehr gut«, sagte ich.
Sie lächelte nicht, sondern drehte sich einfach um und wollte wieder in der Küche verschwinden.
»Entschuldigung«, sagte ich, bevor sie das Speisezimmer verließ.
Sie drehte sich um.
»Ja?«
»Was ist auf diesem Bild zu sehen?«, fragte ich sie mit Blick auf das Wandgemälde.
»Das ist ein Ort in England, an dem
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