Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
Morgensonne. Uniformierte Gärtner pflegten die Parkanlagen. Sie erinnerten an eine Armee, ausgeschickt, die Hässlichkeit zu besiegen. Es herrschte eine so große Üppigkeit, dass es mich ängstigte. Jeder, der in dieser Umgebung einen Blick auf mich warf, wusste, dass ich aus der Armut immigriert war, dem Schmutz und dem Verbrechen entfloh. Sie würden sich fragen, wie ich überhaupt hierher gekommen war.
Vor Angst klapperten mir schließlich die Zähne im Takt mit dem elektrisch kribbelnden Frösteln in meinen Knochen. Das hier war ein schrecklicher Fehler, dachte ich die ganze Zeit. Ich sollte zurückgehen und all die wunderschönen Sachen zurückgeben, die meine leibliche Mutter mir gekauft hatte. Ich war zu ungeschickt, zu unkultiviert. Ich würde meine Großmutter total in Verlegenheit bringen, und sie würde mich binnen Minuten nach meiner Ankunft meiner Wege schicken.
Überzeugt von der drohenden Katastrophe und voller Furcht, fiel es mir schwer zu atmen, als der Fahrer schließlich verkündete: »Wir sind da!«
Er fuhr eine lange kreisförmige Auffahrt zu einem weiteren dieser riesigen Häuser hinauf, die ich am Wege gesehen
hatte. Dieses Herrenhaus war zweigeschossig mit vier großen hohen Säulen, die ein Giebeldach stützten, welches das Haus wie einen griechischen Tempel aussehen ließ. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch die Steintreppe, die sich über die ganze Breite der überdachten Vorhalle erstreckte.
Der Rasen und die Gartenanlagen dehnten sich anscheinend unendlich nach links und rechts aus. Links sah ich eine Garage für drei Wagen, vor der ein Rolls-Royce neuerer Bauart geparkt war. Jemand hatte ihn gerade gewaschen. Der Schlauch und der Eimer mit Seifenwasser befanden sich noch daneben.
Der Fahrer stieg aus und öffnete mir die Tür.
»Das ist es«, sagte er mit einem schwachen Lächeln.
Ich stieg langsam aus und schaute zu dem Haus hoch. Eine Brise wehte, aber nichts rührte sich, nicht einmal die Blätter an den kleinen Bäumen oder Hecken. Alles war so still, dass ich das Gefühl hatte, ein Gemälde zu betreten. Plötzlich glitt eine Wolke über die Sonne und ein dunkler Schatten huschte über die Front des Hauses. Im ersten Stock bewegte sich ein Vorhang, aber ich sah kein Gesicht. Der Fahrer begann mein Gepäck auszuladen.
»Sie können hineingehen«, sagte er. »Ich bringe Ihnen alles.«
Ich hatte halb erwartet, dass die Haustür sich öffnen und meine Großmutter heraustreten würde, eifrig darauf bedacht, mich zu begrüßen, aber es war kein Lebenszeichen zu entdecken. Selbst die Vögel, die von den Zweigen zu den Springbrunnen und Bänken flatterten, wahrten anscheinend einen gewissen Abstand und beobachteten diese Haustür nervös.
Ich stieg die Treppe hinauf. Der Stein unter meinen Füßen
wirkte jungfräulich.Vermutlich wurden die Stufen genauso kräftig gefegt und geschrubbt wie die Böden drinnen. Ich fand keine Türklingel, sondern nur einen Messingklopfer in Form eines Hammers mit einer Messingplatte darunter. Ich ließ ihn einmal fallen. Weil ich dachte, das sei nicht laut genug gewesen, wiederholte ich es noch einmal, hob den Klopfer hoch und stieß ihn fest hinunter, damit es lauter klang.
Augenblicke später öffnete sich die prächtige Tür. Ich stand einem Dienstmädchen gegenüber, die nicht älter aussah als zwanzig, wenn überhaupt. Sie hatte kurzes blondes Haar, das präzise auf die Länge ihrer Ohrläppchen geschnitten worden war. Es war gerade herunter gebürstet und hing auf Schläfen und Stirn wie dünne Drähte – ohne jegliche Weichheit, trocken, fast wie aufgemalt. Ihre Augen waren von einem stumpfen Braun und standen zu weit auseinander. Sie blinzelte, als die Wolke von der Sonne weghuschte und etwas Licht vom kalten weißen Steinboden des Portikus reflektiert wurde. Ich glaube, sie war nicht viel draußen. Sie hatte einen blassen Teint mit einem auffälligen Muttermal auf der schmalen Stirn.
Die knielange Schürze trug sie über einem dunkelblauen Rock, die Bluse war bis zum Hals zugeknöpft. Sie hatte einen kleinen Busen, aber breite Hüften. Deshalb wirkte sie plump und traurig wie jemand, dessen Schicksal es war, nicht beachtet zu werden, für immer eine Dienstmagd zu bleiben. Die Realität ihrer Situation schlug sich in ihrem Blick als finsterer Trübsinn nieder. Vermutlich war ein Lächeln in ihrem Leben so selten wie ein Diamant. Sie warf mir einen Blick zu, dann rückte sie ein wenig zur Seite, um die Limousine und den Fahrer zu
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