Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
Hoheiten. Ich stellte mir vor, sie kämen aus einem Zauberreich, in dem Pickel verboten sind, wo jeder mit perfekten Zügen geboren wird, wo das Lachen wie Musik klingt und stets ein Lächeln ihre gesegneten Gesichter überzieht.
»Wer ist das, Roy?«, hatte ich meinen Bruder mit einem lauten Flüstern gefragt.
»Die«, erwiderte er nicht ohne Bitterkeit in der Stimme.
»Wer ist die?«
»Die sind die«, teilte er mir mit und schaute noch einmal zurück, als wir weitergingen. »Es gibt uns und es gibt die. Das sind die.«
Natürlich ergab das für mich keinen Sinn. Mit neun Jahren war ich nicht besonders klassenbewusst, und es verfolgte mich auch nicht so wie Ken, Beni und Roy. Mama schien sich dessen bewusst zu sein, hatte aber angesichts der Aufteilung der Welt resigniert. Ich versuchte mehr so zu sein wie sie.Was nutzte es schon, grün vor Neid herumzulaufen, dass einem vor Unglücklichsein ganz schlecht wurde?
Als meine Großmutter jedoch das Speisezimmer betrat, stach ihr Diamantenkollier hervor, die passenden Ohrringe funkelten im Licht des Kronleuchters, ihr schönes schwarzes Samtkleid ließ sie noch stattlicher wirken. Ich musste die Luft anhalten und mein Herz daran erinnern weiterzuschlagen. Sie war definitiv eine von denen, was die Tatsache noch verstärkte, dass ich es nicht war.
Sie wirkte wie eine königliche Hoheit. Sie bewegte sich wie eine Königin, mit hoch erhobenem Kopf, königlicher Haltung, blieb sie stehen, als sie den halben Weg zu ihrem Platz zurückgelegt hatte.
»Es gehört sich so, dass jüngere Leute aufstehen, wenn Ältere das Zimmer betreten«, zischte sie durch fast zusammengebissene Zähne. »Besonders im Esszimmer.«
Schnell stand ich auf. Sie studierte mich eingehend, kontrollierte mein Haar, mein Make-up und natürlich meine Kleidung. Wieder einmal sah ich diesen winzigen warmen Schimmer in ihrem Blick, bevor er wieder gleichgültig wurde.
»Wer hat dir diese Kombination ausgesucht? Deine Mutter oder du?«, wollte sie wissen.
»Wir beide, denke ich«, erwiderte ich.
Sie schüttelte den Kopf und ging weiter zu ihrem Platz.
»Megan fällt es so schwer, die Frau eines konservativen Mannes zu sein. Die kleine Rebellin in ihr glüht wie ein ewiger Funke, der nicht erlischt.Tragen junge Mädchen die Röcke wieder so kurz?«
»Es wurde im Geschäft so angeboten«, sagte ich.
Sie setzte sich und nickte mir zu, worauf ich mich ebenfalls setzte.
»Du siehst aus, als würdest du dich pflegen und als wüsstest
du, wie man das Haar trägt«, gab sie zu. In ihren Worten klang ein wenig Überraschung an.
Merilyn eilte herein, um ihr ein Glas Wasser einzuschenken, und füllte mein Glas dann auch. Dann rannte sie mit dem Ausdruck abgrundtiefen Entsetzens wieder hinaus. Trotz ihrer Kälte mir gegenüber tat sie mir Leid. Ich wünschte, ich könnte aufstehen und ihr helfen, das Essen zu servieren. Ich hätte gerne den Salat zubereitet oder irgendetwas anderes getan, statt nur darauf zu warten, dass die Dinnerglocke klingelte oder meine Großmutter ihren großartigen Auftritt hatte.
»Warum sollte ich mich nicht pflegen?«, fragte ich abwehrend. Ich hörte mich an wie Beni, die sich ständig angegriffen fühlte. Manche Leute brachten das einfach zum Vorschein, Menschen wie meine reiche und eingebildete Großmutter.
Sie antwortete nicht. Stattdessen entfaltete sie sorgfältig ihre Serviette und legte sie auf den Schoß. Dann schaute sie mich an. Rasch tat ich das Gleiche mit meiner Serviette.
»Von Zeit zu Zeit«, sagte sie, »wirst du am Dinnertisch anwesend sein, wenn ich wichtige Gäste habe. Natürlich werden sie wissen, dass du unter unglücklichen Verhältnissen aufgewachsen bist, aber sie werden dennoch erwarten, dass du eine angemessene Etikette an den Tag legst, einfach weil du unter meinem Dach lebst und ich nichts Geringeres verlangen würde. Ich erwarte, dass du präsentabel aussiehst, selbst beim Frühstück.«
»Ich werde immer präsentabel sein, aber ich werde kein Blender«, sagte ich.
Sie lachte kalt und schüttelte den Kopf. Dann seufzte sie und ließ die Schultern fallen, als wären sie ihr zu schwer.
»Wie lautet das Sprichwort? ›Je mehr sich die Dinge ändern,
desto mehr bleiben sie gleich.‹ Megan sagte früher immer etwas Ähnliches.« Ihr Lächeln verschwand, und sie beugte sich vor. »Tischmanieren haben nichts damit zu tun, ein Blender zu sein. Gute Manieren gehören dazu, damit das Essen eine angenehme Erfahrung wird, für andere ebenso wie für
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