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Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht

Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht

Titel: Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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enttäuscht, aber ich hatte kein Recht, ihn zu verurteilen. Menschen, die im Meer treiben und hin- und hergeschleudert werden, sollten nicht auf andere herabsehen, die auf das erste erreichbare Rettungsboot zuschwimmen. Wenn irgendjemand
Einsamkeit verstehen konnte, sollte ich das doch sein.
    Ich beugte mich vor und küsste ihn auf die Wange. Es war, als hätte ich die kleinen Kerzen hinter seinen Augen entzündet.Wie sie jetzt blitzten.
    »Einen schönen Besuch«, wünschte er mir.
    Ich beobachtete, wie er wegging, und stellte mir vor, dass er eines Tages ein Gesangsstar wäre. Ich wäre nicht an seiner Seite, aber in vielen Jahren würden wir einander vielleicht begegnen, lächeln und uns nur für einen kurzen Augenblick erinnern. Jetzt glichen wir eher zwei Kometen, die dicht aneinander vorüberflogen und nur ein paar Sekunden der Ewigkeit im Magnetfeld des anderen verharrten, bevor wir uns weiterbewegten, auf andere Welten, andere Sonnen, andere Ziele zu.
    Ich trat vor die Tür, öffnete den Schirm und eilte davon. Mit jedem Schritt schlug mein Herz schneller und lauter. Trotz des schweren Regens schaffte ich es, kurz vor vier nach Hause zu kommen. Roy war noch nicht eingetroffen. In einer Stunde musste ich Mrs Chester beim Abendessen helfen. Ich zog mir rasch die Uniform an, eilte zurück ins Vorderhaus und lungerte in der Nähe der Tür herum. Ich hatte Leo erzählt, dass ich meinen Bruder erwartete. Boggs würde ihn mit Sicherheit fragen, und er sollte erfahren, dass es sich nicht um einen beliebigen weiteren Besucher handelte, den er wegschicken oder stundenlang vor der Tür stehen lassen konnte.
    Schließlich klingelte es kurz vor halb fünf. Ich
hielt die Luft an, als Leo, viel zu langsam für mich, zur Tür humpelte.
    »Guten Tag«, sagte er. »Ich möchte Rain Arnold besuchen.«
    Die Stimme klang so tief und gebieterisch, dass ich schon fürchtete, es sei gar nicht Roy. Aber als ich zur Tür trat, bestand kein Zweifel mehr.
    Er wirkte größer, breiter und durchtrainierter. Seine Schultern waren zurückgenommen, seine Haltung straff. Das Lächeln begann auf den Lippen und setzte sich über das Gesicht fort, bis seine Augen strahlten.
    »Roy!«, rief ich und rannte in seine wartenden Arme.
    Leo trat verblüfft, amüsiert und ein wenig außer Fassung zurück.
    »Du siehst ja ganz erwachsen aus«, sagte Roy, als ich einen Schritt zurücktrat. Er legte mir die Hände auf die Schultern und hielt mich von sich weg. »Nicht, dass du das früher nicht getan hättest«, ergänzte er, »aber du siehst älter aus.«
    »Du auch. Ich hätte dich nicht erkannt. Du siehst größer aus und älter und …«
    Er lachte.
    »Können wir einen Spaziergang machen?«
    »Steh hier nicht bei geöffneter Tür herum«, hörte ich von hinten, drehte mich um und sah Boggs im Flur.
    »Das ist mein Bruder«, sagte ich entschlossen.
    Boggs starrte mich einen Augenblick an, unsere
Blicke verkrallten sich ineinander. Überraschenderweise nickte er und sagte: »Dann soll er hereinkommen oder lass ihn später wiederkommen.«
    »Er kommt herein«, sagte ich schnell und nahm Roy bei der Hand, um ihn ins Haus zu führen. »Ich habe noch ein bisschen Zeit, bevor ich beim Abendessen helfe«, erklärte ich und führte ihn den Gang entlang.
    »Ist das der Besitzer?«, flüsterte er.
    »Nein. Das ist der Lakai des Besitzers.«
    »Hm?«
    »Ich erkläre dir das sofort«, sagte ich.
    »Wo gehen wir hin?«
    »In mein Zimmer«, sagte ich.
    Roy versuchte sich alles anzuschauen, während ich ihn durchs Haus zerrte.
    »Diese Leute müssen noch reicher sein, als ich gedacht hatte«, murmelte er.
    »Sie haben Geld, Roy, aber sie sind arm.«
    »Hm?«
    Er blieb an meiner Tür stehen, als ich ihm mein Zimmer zeigte, und starrte einen Augenblick kopfschüttelnd hinein.
    »Als ich erfuhr, dass du in England bei einer reichen Familie lebst, dachte ich, dass du viel besser wohnen würdest als hier, Rain. Da warst du ja besser dran bei uns in der Wohnungsbausiedlung.«
    »Ich weiß, aber ich verbringe zwischen Schule und Arbeit nicht viel Zeit hier.«
    Er nickte und kam herein.

    »Wir müssen uns auf das Bett setzen«, teilte ich ihm mit.
    »Das ist doch in Ordnung.«
    »Wie lang bleibst du in England?«
    »Nur zwei Tage«, sagte er. »Ich habe mit einem Kumpel organisiert, dass ich bei einem Truppentransport mitfahren kann.« Er schaute sich weiter in meinem winzigen Zimmerchen um, als gäbe es dort viel zu sehen. »Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass du

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