Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
mittlerweile völlig verwöhnt wärst, nachdem du zuerst bei dieser reichen Oma in Virginia gewohnt hast und dann hier. Sie behandeln dich also nicht wie eine Verwandte, was?«
»Sie wissen nicht, wer ich wirklich bin, Roy.«
»Warum?«
»Großmutter Hudson fand es am besten, das geheim zu halten. Diese Leute sind viel verstaubter und machen sich viel mehr Gedanken um den guten Namen der Familie und so etwas.«
»Habe ich mir schon gedacht«, meinte er mit einem Blick auf das Zimmer und seine erbärmlichen Möbel. »Sie behandeln dich wie ein Dienstmädchen.«
Ich lachte.
»Das ist alles gar nicht so schlimm. Ich genieße die Schule sehr, und ich habe einige wunderbare Dinge gesehen, seit ich hier bin.«
»Klar«, sagte er. Er schaute mich rasch an und blickte dann zu Boden. Ich hatte das Gefühl, es war schmerzlich für ihn, mich zu lange anzuschauen.
»Wie geht es dir denn, Roy?«
»Mir? Ach, prima.Weißt du, was man sagt«, meinte er lächelnd. »Bei der Armee bekommst du die Grundlagen zum Leben. Ich werde in Elektrotechnik ausgebildet. Wenn ich später die Armee verlasse, kann ich einen guten Job finden. Ich habe auch eine Menge guter Kumpel.Vielleicht liegt es an der Uniform, aber jeder scheint jeden die meiste Zeit gleich zu behandeln. Natürlich sind Offiziere immer noch Offiziere, aber … also, du weißt schon, was ich meine«, murmelte er, frustriert über seine Schwierigkeiten, sich auszudrücken.
»Ja, Roy, das weiß ich«, sagte ich und berührte seinen Arm.
Er schaute mich lange an und lächelte.
»Ich habe schon so lange davon geträumt. Ich kann gar nicht glauben, dass ich tatsächlich hier bei dir bin. Es ist fast so, als wären wir wieder in Washington.«
»Seit damals ist zu viel passiert, Roy. Keiner von uns wird jemals wieder dorthin zurückkehren.«
»Das stimmt«, bestätigte er nickend. Er schaute zu Boden und fuhr fort: »Ich habe noch mal von Ken gehört. Er ist im Gefängnis in Schwierigkeiten geraten und muss jetzt insgesamt mindestens acht Jahre absitzen.«
»Wow«, sagte ich. »Er tut mir Leid.«
»Mir nicht«, entgegnete er rasch. In seine Augen trat der vertraute zornige Ausdruck, den ich in meinem anderen Leben so gut gekannt hatte. »Er hatte so viele Gelegenheiten, sich als Mann zu erweisen.
Mama gab ihm immer wieder eine Chance. Wenn sie nicht so viel gelitten hätte, wäre sie bestimmt nicht so gestorben.«
»Ich weiß nicht, Roy. Viele reiche, glückliche Menschen erkranken auf diese Weise und sterben.«
»Sie kam seinetwegen kaum zum Luftschnappen. No, Sir, er tut mir kein bisschen Leid. Wenn es nach mir geht, ist er noch gar nicht lange genug verknackt worden.«
»Okay, Roy.«
»Es gibt noch eine andere schlechte Nachricht. Tante Sylvia ist gestorben.«
»Oh nein.Was ist passiert?«
»Herzversagen.« Er schaute auf. »Bald sind nur noch du und ich aus der ganzen Familie übrig.«, erklärte er. »Ist ja sowieso keine nennenswerte Familie.«
»Eine Familie ist eine Familie, Roy.«
»Das bedeutet doch nur, dass es Menschen gibt, die wir nicht verleugnen können«, erklärte er. Er schaute mich eindringlicher an. »Du und ich, wir könnten etwas daran tun, Rain. Wir können das Ganze neu anfangen und unsere eigene Familie gründen.«
Ich nickte, schaute aber beiseite.
»Vermutlich ist das eine dumme Idee, jetzt wo du auf dem Weg bist, ein großer Star zu werden, hm?«
»Oh, ich bin weit davon entfernt, ein großer Star zu werden, Roy. Ich habe bis jetzt doch nur ein paar Sachen auf der Bühne gemacht, und ich lerne noch. Ich habe noch viel zu lernen.«
»Ja, aber eines Tages wirst du das, und dann wirst du nichts mehr von mir wissen wollen.«
»Ach, hör auf, so zu reden, Roy. Dieser Tag wird nie kommen. Du bist jetzt alles, was ich habe«, sagte ich.
Seine Augen fingen an, wieder ein bisschen zu leuchten.
»Ist das dein Ernst?«
»Natürlich ist es das, Roy.« Ich schaute auf die Uhr. »Ich muss in die Küche gehen, um Mrs Chester bei derVorbereitung des Abendessens zu helfen«, sagte ich.
»Ach so. Entschuldigung.«
»Aber ich möchte dich nicht hier lassen«, sagte ich schnell. »Ich werde dich ihr vorstellen, und du kannst uns in der Küche zuschauen. Sie gibt dir bestimmt auch etwas zu essen«, sagte ich, »oder ich. Wenn ich fertig bin mit dem Servieren des Abendessens, können wir noch länger plaudern, wenn du möchtest.«
»Wenn ich möchte? Aber klar will ich das. Das ist der einzige Grund, warum ich diese Reise gemacht habe,
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