Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
Victoria wäre damit zufrieden. Also nicht wirklich, aber wir könnten sie zum Schweigen bringen, und jeder könnte sein Leben weiterführen.Was meinst du?«
Meine Augen standen so voller Tränen, dass ich sie kaum sehen konnte. Besaß sie nicht das winzigste Fünkchen mütterlichen Instinktes? War Großmutter Hudsons Tod nur eine Gelegenheit, mich für immer loszuwerden?
Ich sollte diesen hässlichen Deal eingehen, dachte ich, und dieser elenden Familie den Rücken kehren. Ich sollte sofort nach England zurückkehren und dort mein eigenes Leben aufbauen, vielleicht in der
Nähe meines leiblichen Vaters, der zumindest nicht nach jeder denkbaren Möglichkeit suchte, meine Existenz zu leugnen.
»Rain?«
Ich drehte mich um und blickte über den See.Was würde Großmutter Hudson zu all dem sagen? Was würde sie von mir erwarten?
Ich erinnerte mich an den Tag, als ich sie verließ. Jeder Augenblick, jede Sekunde dieses Abschieds war mir noch lebhaft in Erinnerung. Ich hatte mir solche Sorgen gemacht, dass wir uns zum letzten Mal sahen, und ich hatte Recht behalten. Sie hatte mir voller Hoffnung ins Gesicht geschaut und gesagt: »Ich hatte Angst, es gäbe in dieser Familie niemanden mit einem Sinn für Anstand und dem Mumm, das Richtige zu tun. Enttäusche mich nicht.«
»Großmutter Hudson hatte einen Grund für das, was sie tat«, begann ich und drehte mich langsam zu meiner Mutter um. »Ich habe ihr bestimmte Versprechen gegeben, Versprechen, von denen sie erwarten würde, dass ich sie halte, selbst jetzt, vielleicht jetzt mehr denn je. Ich werde kein Komma in ihrem Testament ändern«, sagte ich trotzig.
Meine Mutter wirkte schockiert. Offensichtlich war sie sich so sicher gewesen, dass sie mich überzeugen könnte zu tun, was Grant wollte.
»Aber Rain, sieh doch, was passieren wird.Victoria wird nicht so leicht aufgeben und …«
»Irgendwie glaube ich«, sagte ich lächelnd, »dass dein Mann sie überzeugen kann.«
Sie starrte mich nur an. Ich lächelte, und sie schüttelte den Kopf.
»Du bist wirklich wie sie«, sagte sie wütend.
»Das, Mutter, war das beste Kompliment, das du mir je machen konntest.«
Sie nickte, drehte sich um und ging zum Haus zurück.
Ich holte tief Luft.
Ich hatte Angst.
Mein ganzer Körper zitterte. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun oder wie ich mich verteidigen sollte, aber ich war auf Großmutter Hudsons Land und in ihrem Haus und ihre Worte hallten noch in mir wider.
Das würde nicht leicht, dachte ich mir, als ich auch zurückging.
»Und?«, hörte ich Großmutter Hudson erwidern. »Wann war je etwas leicht für dich, Rain?«
Ich lächelte, schloss die Augen und versprach: »Ich werde dich nicht enttäuschen, Großmutter.«
EPILOG
N iemand kümmerte sich während der Beerdigung und unmittelbar danach um mich. Brody war tatsächlich der Einzige, der überhaupt mit mir sprach, mir Fragen stellte über England, mir von seinem Schuljahr erzählte und seinen Leistungen im Sport. Er hatte immer noch gute Aussichten auf ein Football-Stipendium.
Alison mied mich geflissentlich, was für mich völlig in Ordnung war. Sie wirkte verärgert darüber, dass sie an der Beerdigung ihrer Großmutter teilnehmen musste. Den größten Teil der Zeit verbrachte sie schmollend auf ihrem Zimmer.
Jake war derjenige, der mich über alle Termine informierte. Ich fuhr mit meinem Großonkel und meiner Großtante im Rolls-Royce zur Beerdigung. Alle anderen benutzten Mietwagen. Großonkel Richard kannte noch nicht alle Einzelheiten des Testamentes und konnte es nicht abwarten, in sein kostbares England zu seiner Arbeit zurückzukehren. Großtante Leonora spielte die tieftraurige Schwester, aber sie strahlte wie ein Scheinwerfer, immer wenn ein alter Freund auf sie zutrat und sie die Gelegenheit hatte,
mit ihrem wundervollen Leben in England zu prahlen. Sehr schnell verwandelte sich das Ganze zu einem gesellschaftlichen Ereignis, und ich zog mich in mein Zimmer zurück, um auf das Ergebnis zu warten.
Grant stattete mir noch einen letzten Besuch ab, bevor das Testament verlesen wurde. Er suchte mich am Tag zuvor in meinem Zimmer auf, dem Hausmädchenzimmer, um noch einen Versuch zu unternehmen, zu einer »vernünftigen Lösung« zu gelangen, wie er es nannte.
Für jeden anderen Mann wäre das eine sehr peinliche und schwierige Begegnung gewesen. Schließlich stand er der illegitimen Tochter seiner Frau gegenüber.
Er behandelte die Sache jedoch, als wäre er nur der Anwalt der gegnerischen
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