Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
schwierig, wie es sich anhört«, sagte er, »und anders als in den Staaten sind die Leute hier freundlich und hilfsbereit. Achten Sie aber dennoch darauf, wen Sie ansprechen, und machen Sie eine Weile erst mal keine Umwege«, riet er mir. Er faltete seine Zeitung zusammen, stand auf und schaute zu Großtante Leonora am Tisch herab, als befände sie sich am anderen Ende eines langen Tunnels. »Kümmere dich so bald wie möglich um dieses Geldproblem, Leonora.«
»Das werde ich, mein Lieber«, versicherte sie.
»Also, einen schönen Tag«, fügte er hinzu und ging hinaus.
Ich erzählte Großtante Leonora von dem Verrechnungsscheck,
den ich hatte, und sie versprach, sich persönlich darum zu kümmern.
»Jetzt wo Richard es zu einer Staatsaffäre gemacht hat«, meinte sie.
Ich half Mary Margaret den Tisch abzuräumen. Dann frühstückten wir selbst, und ich ging zurück in mein Loch in der Wand, um mir die Haare zu richten und ein bisschen Lippenstift aufzutragen. Bevor ich ging, gab ich Großtante Leonora den Scheck, den Großmutter Hudson mir ausgehändigt hatte. Sie schaute ihn an, riss die Augen auf und zog die Augenbrauen hoch.
»Das ist eine Menge Taschengeld«, kommentierte sie. »Ich wusste gar nicht, dass meine Schwester so großzügig ist. Bestimmt weiß Victoria nichts davon«, fügte sie nachdenklich hinzu. Dann schüttelte sie den Kopf, als wollte sie einen üblen Gedanken verscheuchen, und lächelte. »Das soll nicht heißen, dass Sie es nicht brauchen. London ist ein teures Pflaster. Ich sorge dafür, dass Sie mit ein paar hundert Pfund anfangen. Einen schönen Tag, meine Liebe«, fügte sie hinzu.
Mit einem Herzen, das klopfte wie die Standuhr im Salon, verließ ich das Haus und machte mich auf den Weg zu meiner neuen Schule.
Mein erster Fehler unterlief mir nur einen Block von Endfield House entfernt. Ich konzentrierte mich auf all die Dinge, die Großonkel Richard mir gesagt hatte, und trat vom Bürgersteig herunter, ohne daran zu denken, dass die Engländer auf der anderen
Seite fahren. Als ich nach links schaute und kein Auto sah, glaubte ich mich sicher. Als Nächstes hörte ich das Kreischen von Bremsen und sah einen wutschnaubenden Fahrer vor mir. Mit klopfendem Herzen sprang ich auf den Bürgersteig zurück.
»Pass doch auf die Ampel auf«, schrie der Fahrer mich mit wütendem Blick an, als er an mir vorbeifuhr.
Ich schloss die Augen, hielt die Luft an und ging über die Straße, als es sicher war. Der Himmel war noch ganz grau, und mir fiel auf, dass jeder Fußgänger einen Regenschirm bei sich trug. Ich hatte keinen, und keiner im Haus hatte mir einen angeboten, bevor ich ging. Die ersten Tropfen fielen, kurz bevor ich die Haltestelle erreichte. Wegen des Verkehrs konnte ich nicht über die Straße laufen, deshalb musste ich warten, auch wenn ich dabei durchnässt wurde. Schließlich stürzte ich in die Haltestelle und schüttelte mich. Meine Bluse war klatschnass. Was für ein schrecklicher Anfang.
Leute drängten an mir vorbei, hasteten hin und her. Ich fand, es sah nicht viel anders aus als die U-Bahn-Haltestellen in den USA. Jemand, der eine Dose für Münzen aufgestellt hatte, spielte Saxophon. Der Stationsbeamte war jedoch sehr hilfsbereit, und wenige Augenblicke später wartete ich neben anderen auf meinen Zug.
Etwa jede Minute hörte ich eine Ankündigung, auf die Lücke aufzupassen. Ich konnte mir nicht vorstellen, was das bedeutete, bis der Zug einfuhr und
ich sah, dass eine Lücke entstanden war zwischen Zug und Bahnsteig.
»Achten Sie auf die Lücke«, murmelte ich lachend vor mich hin und stieg in meine erste Londoner U-Bahn ein. Ich studierte die Karte und wartete auf die Stationen, die Großonkel Richard mir aufgeschrieben hatte. Kurze Zeit später stieg ich aus und begab mich in einem leisen, stetigen Nieselregen auf die Suche nach der Schule. Ich geriet in Panik und glaubte, den falschen Weg gegangen zu sein. Vor einem Geschäft blieb ich stehen, um wieder zu Luft zu kommen. Meine feuchte Kleidung klebte mir am Körper. Wie peinlich, mich am ersten Tag so vorzustellen, dachte ich und überlegte, ob ich nicht einfach umkehren und zum Endfield Place zurückkehren sollte.
»Alles in Ordnung, Schätzchen?«, fragte eine kleine ältere Dame, als sie aus dem Geschäft kam.
Vermutlich sah es merkwürdig aus, wie ich die Arme um mich schlang und mich auch noch gegen die Wand drückte.
»Nein, ich kann den Weg nicht finden«, sagte ich.
»Und wohin, Schätzchen?«
Sie
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