Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
kommen?«, fragte er.
Ich warf Großtante Leonora einen nervösen Blick zu. Sollte ich die Wahrheit sagen?
»Natürlich weiß sie das nicht, mein Lieber«, erwiderte sie.
»Das habe ich vermutet. Ich kann Boggs heute Morgen nicht entbehren. Sie müssen deshalb selbst den Weg finden«, erklärte er.
Ich war nicht besonders traurig darüber.
Er steckte die Hand in die Innentasche seines Jacketts und zog einen kleinen Block heraus. »Passen Sie auf«, befahl er, und ich trat näher zum Tisch. Mary Margaret warf mir einen Blick zu und eilte dann in die Küche, als sei für ihre Ohren verboten, was er mir sagen wollte.
»Obwohl London mehr als ein Jahrhundert lang die bevölkerungsreichste Stadt auf Erden war, war es auch immer stets eine Ansammlung von Dörfern«, begann er. »Jedes Dorf hatte für sich genommen eine ganz einmalige Qualität, und manche haben dies bis heute bewahrt.«
Als er sprach, schaute er mich nicht direkt an.
Er redete zum Tisch hin, als sei er der Lehrer in einem Klassenzimmer, der gerade mit einer Stunde anfing.
»Beispielsweise konzentriert sich in Whitehall die Regierung, deren Macht sich vom Parlament in Westminster herleitet, das natürlich ohne die Königin unvollständig ist, deren königliches und öffentliches
Leben sich immer noch rund um den St. James’s Park abspielt.«
Er schaute hoch zu mir.
»Haben Sie das so weit verstanden?«
»Ja«, sagte ich, obwohl ich nicht wusste, was das damit zu tun hatte, mir den Weg zur Schule zu beschreiben. War es erforderlich, die englische Geschichte zu kennen, bevor man durch die Stadt fahren konnte?
»Gut. Die beste Art und Weise, überall hinzukommen, ist mit der U-Bahn. Alle Stationen sind ganz deutlich mit diesem Symbol gekennzeichnet«, sagte er und zeichnete, »das kreisförmige Symbol von London Transport. Am besten kaufen Sie sich eine Monatskarte.«
»Oh, ich muss noch mein Geld in Pfund wechseln«, sagte ich, etwas in Panik.
Er schaute Großtante Leonora scharf an.
»Das ist noch nicht erledigt worden, Leonora?«
»Natürlich nicht, mein Lieber. Sie ist erst gestern angekommen.«
»Warum bist du nicht direkt mit ihr zu unserer Bank gefahren und hast es erledigt?«
»Ich dachte, sie hier unterzubringen und ihr von Boggs ihre Pflichten erklären zu lassen sei wichtiger. Es blieb keine Zeit dafür.« Sie schüttelte den Kopf.
»Ich muss mich heutzutage um jede Kleinigkeit kümmern«, murrte er.
Er griff wieder in seine Innentasche, holte seine Brieftasche heraus und zog eine Banknote hervor.
»Das ist ein Zehner«, sagte er, hielt ihn hoch und wedelte damit vor mir herum, »eine Zehn-Pfund-Note. Kennen Sie den Unterschied zwischen englischem und amerikanischem Geld?«
»Ja«, sagte ich.
»Gut. Das wird Ihnen für heute reichen, aber Sie müssen sich sofort um Ihre Bedürfnisse kümmern. London ist in eine Anzahl von Zonen unterteilt. Eine Fahrkarte muss für all die Zonen gültig sein, durch die Sie fahren möchten. Die Kosten der Fahrkarte richten sich nach der Anzahl der Zonen, durch die Sie fahren wollen, verstanden?«
Er redete zu schnell, und das alles ergab für mich keinen Sinn.
»Man kann nicht nur eine Fahrkarte kaufen?«
»Doch, natürlich, aber es hängt davon ab, wo Sie hinwollen.«
»Aber das weiß ich doch noch nicht«, stöhnte ich.
Er schüttelte den Kopf.
»Das ist nicht schwierig. Sogar Kinder werden alleine damit fertig.«
»Also, in den Staaten ist das nicht so«, protestierte ich.
»Die Staaten«, murrte er, »besitzen kein halb so gutes öffentliches Transportsystem wie wir. Das werden Sie schon bald merken. Wenn Sie zur Haltestelle kommen, wird Ihnen der Angestellte dort helfen. Hier«, sagte er und warf ein paar Notizen auf seinen Block, »ist Ihr Streckenplan.
Von der Haltestelle aus fahren Sie nach Notting
Hill Gate, dort wechseln Sie in die Circle Line zum Sloane Square, wo Ihre Schule ist. Sie befindet sich in der Nähe des Royal Court Theatre. Es sollte nicht sehr schwierig sein, sogar für eine Amerikanerin.«
Er reichte mir den Zettel und die Zehn-Pfund-Note.
»Danke«, sagte ich.
»Sie gehen vorne zur Tür hinaus, wenden sich nach rechts und gehen zwei Straßen Richtung Westen zur Haltestelle.«
»Ist das nicht aufregend für Sie?«, rief Großtante Leonora und klatschte in die Hände.
»Ich werde Sie wissen lassen, wann ich zurückkomme«, sagte ich. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie die Augen meines Großonkels von einem Lächeln strahlten.
»Es ist nicht annähernd so
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