Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
keinen Radiator, nicht einmal ein elektrisches Heizgerät. Diese Tatsache kam mir dramatisch zu Bewusstsein, als ich die nackten Füße auf den Holzboden setzte. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich in eine eiskalte
Pfütze getreten. Schnell suchte ich meine Hausschuhe und zog mir etwas Wärmeres als meinen Morgenmantel an. Ich hätte gerne Zeit gehabt, mich zu duschen, aber weder gab es eine Dusche, noch hatte ich Zeit. Ich musste baden, aber als ich auf meine Armbanduhr schaute, sah ich, dass mir nur noch fünfzehn Minuten blieben, bis ich in der Küche sein musste, um beimVorbereiten und Servieren des Frühstücks zu helfen.
Nachdem ich Höschen und BH angezogen hatte, warf ich einen prüfenden Blick in den Flur, sah, dass die Luft rein war, und eilte mit meiner Kleidung unter dem Arm ins Badezimmer, wo ich mich wenigstens waschen konnte. Wieso überraschte es mich nicht festzustellen, dass es kein heißes Wasser gab? Das Wasser lief und lief, wurde aber überhaupt nicht wärmer. Mir blieb keine andere Wahl, als mich schnell abzuwaschen und zitternd Bluse und Rock anzuziehen. Der einzige Vorteil davon, dass ich mein Haar hochstecken musste, war, dass ich dafür nicht viel Zeit brauchte, aber meine Güte, es musste dringend gewaschen werden.
Das Haus war sehr still. Ich hörte eine Pfanne in der Küche klappern, und als ich eintrat, sah ich, dass Mary Margaret eine Teekanne mit heißem Wasser füllte. Sie warf mir einen Blick zu, ließ die Augen aber nicht von ihrer Arbeit, als ob das Zubereiten einer Tasse Tee für meinen Großonkel mit einer Herzoperation vergleichbar war. Sie ging aus der Küche und wünschte mir dabei einen guten Morgen.
»Nicht vergessen, Milch zuerst«, murmelte ich. Verblüfft schaute sie mich an, sah das Lächeln auf meinem Gesicht und riss die Augen weit auf. Machte hier denn nie jemand einen Scherz?
»Du bist also auf«, verkündete Mrs Chester, die aus der Vorratskammer kam. »Das is ‘ne Überraschung. Bestimmt hatte Mr Boggs was damit zu tun, was, Schätzchen?«
»In der Tat. Er hat unter meinem Bett geschlafen«, sagte ich, und sie gackerte los. »Was ist das?«, fragte ich, als ich sah, was sie zum Frühstück zubereitete.
»Pannas«, sagte sie. Als ich immer noch ungläubig guckte, fügte sie hinzu: »Gewürzte Blutwurst.«
»Igitt«, murmelte ich. Sie legte den Kopf schief.
»Mr Endfield isst dienstags gerne ein richtiges englisches Frühstück.Wir servieren ihm Spiegeleier, gebratene Tomaten sowie Toast und Marmelade. Schneid die Tomaten in Scheiben. Das kannst du doch, ohne dir in die Finger zu schneiden, oder?«
»Natürlich«, sagte ich und fing an. Ich merkte, dass sie mich aus den Augenwinkeln beobachtete.
»Du kannst gut mit dem Messer umgehen«, kommentierte sie.
»Ich habe viel für meine Familie gekocht.«
Sie nickte. Ich schaute die Marmelade an.
»Na los. Kannste probieren«, forderte sie mich auf, und das tat ich. Sie lachte über mein Gesicht. »Sie ist aus Bitterorangen. Mr Endfield mag das sehr gerne.«
»Isst denn niemand hier kalte Cornflakes?«, fragte ich.
»Kalte Cornflakes?« Sie überlegte einen Augenblick. »Mr Endfield isst jeden Donnerstag Haferbrei, aber nich kalt.«
»Jeden Donnerstag? Ist hier alles nach Tagen organisiert, selbst was sie essen?«
»So isses«, bestätigte sie.
Mary Margaret kehrte zurück. Mrs Chester schaute sie einen Augenblick an und entnahm ihrem Gesichtsausdruck etwas, dann nickte sie in Richtung Speisezimmer.
»Deck den Frühstückstisch«, befahl sie.
Ich hätte nicht gedacht, dass Großtante Leonora so früh am Morgen aufstand, aber so wie sie die Liste ihrer Pflichten herunterratterte, nachdem sie zum Frühstück heruntergekommen war, wurde mir klar, dass sie mit ihren Wohltätigkeitsveranstaltungen und sozialen Organisationen genauso beschäftigt war wie ihr Mann mit seiner Anwaltskanzlei. Sie wirkte sehr gepflegt, das Haar gebürstet, gekämmt und gesprayt. Heute trug sie ein hellblaues Baumwollkostüm mit einer Seidenbluse.
Mein Großonkel steckte während des Frühstücks die Nase in die Londoner Times und tauchte nur auf, um einen Kommentar über etwas abzugeben, das er gerade gelesen hatte. Mir fiel auf, dass Großtante Leonora zu allem, was er sagte, nur lächelte und entweder ein langes »Oooh« murmelte oder einfach nickte. Schließlich faltete er die Zeitung zusammen und wandte sich an mich, als ich Mary Margaret gerade half, den Tisch abzuräumen.
»Wissen Sie, wie Sie zur Schauspielschule
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