Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
die Teetasse zum Mund führte.
»Mach dir keine Sorgen darüber«, tröstete ich ihn. »Das Letzte, wonach mir im Moment der Sinn steht, ist eine Romanze.«
»Mir auch«, sagte er schnell, als erwartete ich das von ihm zu hören.
Unwillkürlich zog ich die Augenbrauen hoch.
»Tatsächlich?«
»Ja, sicher, em, ich meine … ich meine nicht, ich würde dich nicht bitten, mit mir auszugehen oder so, aber … ich muss meine Arbeit sehr ernst nehmen und …«
»Ich weiß sowieso nicht, wie wir miteinander
klarkommen könnten«, sagte ich und schaute in meinen Tee.
»Was? Warum?«
»Du hast einfach unterstellt, ich sei ein Tz. Ich bin ein Mz.«
»Wie bitte?«
»Du hast mir zuerst den Tee eingeschüttet«, sagte ich.
Er starrte mich einen Moment an und lachte dann.
»Ach ja. Klar. Tut mir leid. Ich hätte dich fragen sollen.«
»Ich habe doch nur Spaß gemacht. Mir fällt der Unterschied gar nicht auf. Ich bin doch gerade erst angekommen. Ich habe noch nicht einmal die City gesehen.«
»Tatsächlich? Also, vielleicht könnten wir uns irgendwann diese Woche einmal treffen und eine kleine Tour machen. Ich bin schon ein paar Mal hier gewesen, aber ich habe nie besonders auf irgendetwas geachtet. Ich war immer mit meinen Eltern bei diesen Gruppenausflügen. Hättest du Lust?«
»Klar«, sagte ich.
»Gut.«
Er wirkte so erleichtert.
Aber genau in dem Augenblick platzten Leslie und Catherine in die Cafeteria und machten sofort »oh, oh, oh«.
Randall wurde wieder knallrot, als Catherine sich neben ihn setzte und ihre Schulter an seiner rieb.
»Ich bin schon die ganze Woche hinter ihm her, und du gewinnst ihn bereits mit einem Lächeln für dich, chérie?«, fragte sie mich.
»Beherrsch dich, Catherine«, bat Randall.
Leslie trat hinter ihn und legte die Hand auf seine andere Schulter.
»Vielleicht sollten wir ihn uns teilen, was, Rain?«
»Wollt ihr beide wohl aufhören!«, rief Randall. Er warf mir einen Blick zu und schoss dann hoch. »Ich muss zu Bühnentechnik und dort etwas vorbereiten. Bis später«, sagte er und schaute mich noch einmal an, bevor er hinausstürmte.
Die beiden französischen Mädchen kicherten. Ich musste mit ihnen lachen. Dann schaute ich hinter Randall her.
Ein gut aussehender, aber schüchterner Junge.
Vielleicht gefällt es mir hier ja. Eines hatte ich bei den anderen Schülern sofort gespürt, nämlich das völlige Fehlen von Spannungen wegen der Unterschiede der Hautfarben. Vielleicht lag es daran, dass wir alle so verschieden waren, manche sprachen eine völlig andere Sprache, und wir alle hatten einen anderen Background und stammten aus unterschiedlichen Kulturen.
Vielleicht konnte man im Theater sein, wer man wollte, und wenn man gut war, vergaßen die Leute im Publikum alles andere. Alle teilten diese Illusion.
Vielleicht war Großmutter Hudson ja viel klüger, als ich gedacht hatte.Vielleicht wusste sie dies alles. Vielleicht wusste sie, dass ich lieber in einer Welt der
Fantasie lebte als in der Welt der Realität, in die das Schicksal mich hineingeworfen hatte.
Vielleicht wusste sie, dass dies ein Weg war, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen und mein Glück zu finden.
Endlich.
Bald würde ich es wissen.
KAPITEL 4
Das verbotene Cottage
N achdem ich einige weitere Tage durch London gefahren war, gewann ich mehr Selbstvertrauen und genoss es schließlich, mit der U-Bahn zu fahren. Ich besaß sogar den Mut, die tägliche Route zu verlassen, damit ich einkaufen gehen und mir einen einfachen Wecker besorgen konnte. Ganz gleich wie schrill der Wecker war, es war bestimmt viel beruhigender für meine Ohren und mein Herz als Mr Boggs’ Faust, die gegen meine Tür trommelte. So bald wie möglich besorgte ich mir das Ticket, das Großonkel Richard mir empfohlen hatte. Das war fast die einzige Frage, die er mir stellte. Er war sehr beschäftigt mit wichtigen Fällen und verpasste während meiner ersten Woche zweimal das Abendessen. Aber selbst wenn er da war, fragte er mich nur sehr wenig. Er und Großtante Leonora hatten entweder Gäste, die unterhalten werden mussten, oder er war tief in Gedanken über seine Arbeit versunken.
Am Dienstag brachte ich den Mut auf, Großtante Leonora zu erzählen, dass das Badezimmer kein warmes Wasser besaß. Ich hatte in der Schule nach dem Tanzunterricht geduscht, konnte es aber nicht ertragen,
nicht baden oder abends zu Hause meine Haare waschen zu können.
»Oh, das tut mir leid, meine Liebe. Warum haben Sie mir das nicht
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