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Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht

Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht

Titel: Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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schön, etwas Familie um sich zu haben«, sagte sie sehnsüchtig mit leiser, sanfter Stimme. Sie aß und starrte dabei auf den leeren Stuhl zu ihrer Rechten. Einen Augenblick später hatte ich das Gefühl, sie hatte meine Anwesenheit
völlig vergessen. Ich kehrte in die Küche zurück und blieb dort, bis Mary Margaret und ich den Tisch abräumen mussten. Wir aßen wie üblich in der Küche, danach gingen Mary Margaret und Mrs Chester nach Hause.
    Im Haus war es ungewöhnlich ruhig. Randall Glenn hatte mich gefragt, ob ich mit ihm am Samstagnachmittag eine Sightseeingtour machen wollte. Er wollte mich abholen, nachdem ich meine morgendlichen Pflichten erledigt hatte. Ich war aufgeregt, weil dies meine erste Gelegenheit war, berühmte Orte wie den Tower, Westminster Abbey, Buckingham Palace und dergleichen zu besichtigen. Es gab so viel zu sehen und so viele Orte, die man besuchen konnte, dass wir an einem Nachmittag gerade mal die Oberfläche streifen konnten.
    Jetzt hatte ich vor, einige der Theaterstücke zu lesen, die ich aufbekommen hatte, und wollte dann früh schlafen gehen. Der Gedanke, mich in dieses schmuddelige kleine Zimmer zu setzen, war jedoch nicht sehr appetitanregend, deshalb nahm ich meine Bücher und ging in den Salon. Ich war so beschäftigt mit dem ersten Stück, Ein Puppenhaus von Henrik Ibsen, dass ich nicht hörte, wie Großonkel Richard nach Hause kam. Plötzlich spürte ich jemandes Blicke auf mir, schaute auf und sah ihn in der Tür zum Salon stehen und mich anstarren.
    »Oh«, sagte ich und sprang fast hoch. »Ich habe gar nicht gehört, wie Sie hereingekommen sind. Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn ich hier drinnen sitze.«
    »Natürlich ist das in Ordnung«, sagte er. »Warum nicht?«
    Am liebsten hätte ich gesagt, so wie Boggs den Haushalt führte, wusste ich nicht, was ich durfte und was nicht. Ich konnte ihm eine lächerliche Liste von Verboten vorlegen, die so lang war wie mein Arm, und ich war kaum eine Woche hier.
    »Was lesen Sie gerade?«, fragte er.
    » Ein Puppenhaus , ein Theaterstück.«
    »Ja, ich kenne es gut. Gefällt Ihnen die Ausbildung an der Schule?«
    »Ja«, bestätigte ich.
    Er nickte. Offensichtlich war ihm unbehaglich, dort zu stehen und allein mit mir zu sprechen.
    »Und finden Sie sich in London gut zurecht?«
    »Ich tue ja nicht viel mehr, als mit der U-Bahn zur Schule zu fahren und wieder zurück«, sagte ich.
    Er lächelte leicht und nickte.
    »Ja, wenn ich im Moment nicht so beschäftigt wäre, könnte ich ein wenig mehr Zeit mit Ihnen verbringen und Ihnen helfen, sich in unserem Land einzugewöhnen. Ich bin mir aber sicher, dass Sie gut zurechtkommen. Mrs Endfield ist anscheinend sehr zufrieden mit Ihnen. Ich hoffe, es ist auch weiterhin eine erfolgreiche Erfahrung für alle Beteiligten und die Investition meiner Schwägerin lohnt sich. Machen Sie weiter«, fügte er hinzu und winkte mir mit der Hand zu, als übe ich Klavier.
    Er drehte sich auf dem Absatz um und ging weiter. Als ich mich später entschloss, ins Bett zu gehen,
kam ich am Billardzimmer vorbei, wo er still saß, eine Zigarre rauchte und aus dem Fenster hinaus in die Nacht schaute. Er saß mit dem Rücken zur Tür, deshalb sah er mich nicht.
    Wie merkwürdig einsam wirkten alle in diesem Haus, dachte ich. Großtante Leonora war oben in ihrem Schlafzimmer und wusste vermutlich nicht einmal, dass er zu Hause war. Was für eine Art Leben führte Boggs, der hier wohnte und arbeitete? Niemand erwähnte je irgendein Familienmitglied von ihm. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendeine Frau mit ihm verheiratet sein wollte, und wenn er ein Kind hatte, konnte ich gut verstehen, dass dieses Kind sich weigerte, Boggs als Vater anzuerkennen. Leo war ein älterer Mann und anscheinend damit zufrieden, sich in seine kleine Wohnung über der Garage zurückzuziehen. Mary Margaret benahm sich wie eine Schnecke oder eine Schildkröte und zog sich in ihr Haus zurück, wenn ich etwas zu Persönliches fragte. Ich hatte keine Ahnung, ob sie Freunde besaß und jemals etwas mit ihnen unternahm.
    Starrte jeder, der hier lebte oder arbeitete, in die gleiche Dunkelheit hinaus, mit leerem Blick, die Gedanken ausgeschaltet? In unserer elenden Wohnung in dem sozialen Wohnungsbauprojekt in Washington hatten wir mehr gelacht und gelächelt.
    Ich ging schnell weiter, aber so behutsam, als müsste ich rohe Eier überqueren, aus Angst, dieses Schweigen zu durchbrechen, das dieses Haus und das Leben aller

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