Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
angrinste. Zwei andere Jungen waren bei ihm; beide grinsten ebenfalls.
»Entschuldigung«, sagte er, »aber habe ich dich nicht schon mal in einem meiner Träume gesehen?«
»Das bezweifele ich«, sagte ich. »Es ist mir nicht gestattet, solche Orte aufzusuchen.«
Seine Freunde lachten, als das Selbstvertrauen aus seinem selbstgefälligen Grinsen heraussickerte. »Entschuldige bitte, dass ich dich angesprochen habe«, rief er hinter mir her, als ich die Treppe hinunterlief.
Ich durchquerte die Eingangshalle, ging vorbei an dem Mädchen am Informationsschalter und zur Eingangstür hinaus, wo ich stehen blieb, um mich zu orientieren. Ich wusste, dass ich zur U-Bahn-Station gehen und einen Zug nehmen musste. Denn ich war so weit gelaufen, dass ich vermutlich länger als zwei Stunden brauchte, um zu Fuß nach Hause zu kommen, und dann würde ich meine Pflichten vor dem Abendessen versäumen.
Ich blieb stehen, um eine freundlich aussehende Dame nach dem Weg zu fragen, und ging dann weiter. Mittlerweile fand ich es ziemlich albern, dass ich meinen eigenen Unterricht versäumt hatte und in die Vorlesung meines Vaters einfach so hineingeplatzt war. Ich musste mir eine Fahrkarte kaufen, weil ich mich außerhalb meiner üblichen Zone befand. Nachdem ich das getan hatte, folgte ich den Hinweisschildern zu meinem Bahnsteig und wäre dort fast in Ohnmacht gefallen.
Mein Vater stand dort, ein Lächeln auf dem Gesicht. »Also, wer folgt jetzt wem?«, fragte er. »Habe ich Grund zu der Annahme, dass Sie mir folgen?«
Natürlich fragte ich mich jetzt, ob er mich in der vergangenen Woche auch in der Nähe seines Hauses entdeckt hatte.
Ich konnte nur den Kopf schütteln. Sein Lächeln wurde breiter und tiefer vor Interesse und Neugierde.
»Sie sind keine Studentin am College, oder?«, fragte er mich. Diese Frage konnte ich beantworten.
»Nein«, sagte ich.
»Okay. Sie sind mir gegenüber im Vorteil, Miss …?«
»Arnold, Rain Arnold«, sagte ich.
»Rain? Interessanter Name.Wie haben Sie den bekommen?«
»Meine Adoptivmutter hat mich so genannt«, sagte ich rasch.
»Sie war keine Indianerin, oder?«
»Nein, nur eine Amerikanerin«, sagte ich. Er lachte.
»Eine Amerikanerin in London. Hört sich an wie ein Filmtitel.« Seine Augen funkelten amüsiert. Was für wunderschöne dunkle Augen er hatte, dachte ich und versuchte mir vorzustellen, wie er zum ersten Mal meine Mutter angeschaut hatte und sie von ihrer Kraft und Schönheit gefangen genommen wurde. »Was hat Sie heute in meine Vorlesung geführt?«
»Ich, ich besuche die Richard Burbage School für darstellende Künste und ich mache einiges an Shakespeare«, sagte ich. »Ich dachte, es könnte mir helfen, mehr zu wissen.«
»Studieren sie die Stücke, die sie aufführen, nicht,
bevor sie den Schülern ihre Rollen zum Auswendiglernen geben«, fragte er.
»Doch, aber nicht so detailliert wie Sie«, sagte ich.
Skeptisch neigte er den Kopf zur Seite.
»Das haben Sie in nur zehn oder fünfzehn Minuten Beobachtung festgestellt?«
»Nein, ich habe von Ihnen und Ihren Seminaren gehört«, sagte ich.
»Ach ja?« Sein zweifelndes Lächeln blieb. »Ich bin geschmeichelt.Vielleicht liegt es daran, dass ich mich im Moment mit Othello beschäftige, aber ich hege eine gesunde Skepsis gegenüber dem Offensichtlichen«, sagte er. »Besonders was die Motive der Menschen anbelangt.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Würden Sie gerne eine Tasse Tee mit mir trinken? Direkt nebenan ist ein nettes kleines Café.«
Ich zögerte.
»Wir könnten uns noch ein wenig über Shakespeare unterhalten«, schlug er vor, diesmal mit einem anderen Lächeln, einem voller Freude. Er spielte mit mir, war aber auch sehr an mir interessiert.
»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte ich. »Ich muss zurück, um beim Abendessen zu helfen.«
»Aha? Eine amerikanische Studentin in London, die sich mit Arbeit durchschlägt. Jetzt haben Sie wirklich mein Interesse gefunden, Miss Arnold. Schenken Sie mir ein paar Minuten. Schließlich schulden Sie mir das für die kostenlosen Kenntnisse und Einsichten aus meinem Seminar heute«, sagte er.
Ich musste lächeln.
»Okay«, gab ich nach. »Ein paar Minuten.«
»Hier entlang«, sagte er und führte mich zu dem Café.
Wir saßen an einem Ecktisch in der Nähe der Straßenfront, so dass wir auf das umtriebige Gedränge auf der Straße hinausschauen konnten.
»Vermutlich möchten Sie lieber Kaffee als Tee«, sagte er.
»Nein. Englischer Frühstückstee
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