Die Hudson Saga 03 - Dunkle Träume
einmal ahnen, dass es sie gibt. Bis jetzt sind Sie im Krankenhaus gewesen mit Rund-um-die-Uhr-Versorgung, wo ständig Leute an Ihnen herumfummelten und Ihnen das Gefühl gaben, Sie seien der Mittelpunkt der Welt.
Hier sind Sie ganz allein mit Ihren Schmerzen und Qualen, Ihren Krämpfen, Ihren Hautproblemen und Stuhlgangproblemen. Nur in dieses Bett hinein und wieder aus ihm herauszukommen wird Ihnen wie eine Zwanzig-Kilometer-Radtour vorkommen, glauben …
Auf mein Wort«, unterbrach sie sich. »Auf mein
Wort, denn ich habe das durchgemacht und erlebt.«
Sie nickte mit einem kalten Lächeln und fuhr fort.
»Sie glauben, weil Sie hier zu Hause sind, wird alles wieder werden, wie es war. Nun, das wird es nicht, niemals, deshalb müssen Sie daran arbeiten, das Beste daraus zu machen, und deshalb bin ich hier: um Ihnen zu zeigen wie und um Sie von meiner Erfahrung profitieren zu lassen.
Jetzt ist das erste und einzige Mal, dass ich Ihnen eine Predigt halte. Wenn Sie wollen, dass ich da bin, bleibe ich und mache meine Arbeit.Wenn Sie gegen mich ankämpfen, mir widersprechen und mich alles doppelt machen lassen, packe ich meine Sachen zusammen und kümmere mich um jemand anders, dessen Familie an meine Tür klopft und der meine Arbeit besser zu schätzen weiß.
Ich möchte nicht barsch klingen, aber wenn wir der Realität nicht sofort ins Gesicht sehen, haben wir es morgen umso schwerer. Das können Sie glauben, ob ich nun sage ›Glauben Sie mir‹ oder nicht.«
»Wir?«
»Was für Sie schwer ist, ist auch hart für mich, weil ich Ihnen da hindurchhelfen muss«, sagte sie, ohne zu zögern. »Das ist nicht so, wie sich um einen Patienten in einem Heim zu kümmern, der sich weder an seinen Namen noch an sein Alter erinnern kann und auch nicht weiß, wann er das letzte Mal
auf der Toilette war. Sie haben einen aktiven Verstand in einem kaputten Körper. Ich habe erlebt, was das bewirken kann und was das bedeutet.
Sie können jetzt also in dem Stuhl sitzen und sich nicht ausruhen und sogar die Eingangshalle auf und ab fahren, bis Ihnen die Arme schmerzen, aber es geht Ihnen besser, wenn Sie sich jetzt eine Weile hinlegen, sich etwas erholen, etwas Warmes essen und dann anfangen, sich neu zu orientieren.
Das ist mein Vorschlag. Tun Sie, was Sie wollen«, meinte sie und schickte sich an hinauszugehen. »Ich muss Ihr Zeug holen.«
Ihre barschen, unverblümten Worte trieben mir Tränen in die Augen. Dr. Snyder hatte mich gewarnt, dass ich jetzt viel öfter und leichter weinen würde. Sie riet mir, dem nicht so viel Bedeutung beizumessen, wie ich es normalerweise getan hätte, aber es war schwierig zu spüren, wie diese heißen Tropfen im Zickzack über meine Wangen rannen, und so zu tun, als wäre nichts. Das Herz schmerzte mir mit jedem Schlag mehr.
Ich fühlte mich eher leer als zerstört. Alles Warme und Gute in mir war herausgeschlagen worden, als ich von Rain auf diese Felsen stürzte.
Ich saß da und starrte die gestärkten weißen Laken und Kissenbezüge auf meinem Bett an. Als Jake mich nach Hause fuhr, hatte ich mich gefreut auf die weichen kuscheligen Kissen mit ihrem Fliederduft und die wundervolle Daunendecke, unter der es so gemütlich war und ich mich so sicher
fühlte. Als ich mich in dem Zimmer umschaute, das Tante Victoria für mich hatte herrichten lassen, hatte ich das Gefühl, sie hätte das Krankenhaus hier hineingebracht und ich wäre gar nicht in Großmutter Hudsons Haus und mein Zuhause zurückgekehrt.
Das kleine Floß des Optimismus, das ich im Hafen meiner Hoffnung an den Bootssteg angebunden hatte, schien auseinander zu brechen und in den kalten dunklen Wellen zu versinken. Ich spürte, wie mein Körper im Rollstuhl zusammensank und meine Schultern heruntersackten.
Mrs Bogart hatte Recht. Warum sollte ich mir die Mühe machen so zu tun, als wäre nichts Schreckliches passiert? Ich rollte zum Bett und drückte auf den Knopf, um es weiter zu senken, wie es mir im Krankenhaus beigebracht worden war. Die Schritte befolgend, die ich im Therapiezentrum gelernt hatte, zog ich mich im Stuhl hoch, stützte mich auf mein rechtes Bein und schwang mich auf die Matratze. Aber ich hatte die Decke nicht weit genug heruntergezogen und lag jetzt auf ihr. Unbeholfen rollte ich mich herum und wurstelte die Decke weg. Jetzt musste ich die Schuhe ausziehen. Dazu umfasste ich meinen Oberschenkel, zog mein Bein heran und bemühte mich, den Schuh auszubekommen. Plötzlich erschöpfte mich das viel zu sehr. Ich
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