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Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes

Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes

Titel: Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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kann gut reden. Er kann Worte spinnen und weben wie Seide . Jahrelang hat er das bei Fletcher und mir getan . Fletcher ging, aber ich blieb zurück und lebte in dem Kokon aus Illusionen, den Ed gesponnen hatte. Lange Zeit war das egal. Niemand belästigte mich, und auch Ed schien zufrieden zu sein.
    Aber die Träume und die vorgetäuschten Geschichten begannen sich abzunutzen. Ich spürte, wie das passierte, spürte, wie die Welt um mich herum zusammenbrach und sich Löcher bildeten, Löcher , durch die diese hässlichen dunklen Kreaturen, die ich Wirklis nenne, hereinkrochen. Ich werde nie vergessen, wie ich zum ersten Mal eine sah.
    Wir hatten gerade zu Ende gegessen. Ed war müde. Er hatte auf einer Arbeitsstelle gearbeitet, die achtzig Kilometer entfernt
war, und die Arbeit und die Fahrt erschöpften ihn. Er sah müde aus, ausgezehrt, die Ringe unter seinen Augen wurden dunkler. Nach dem Abendessen ging er ins Wohnzimmer, um wie üblich fernzusehen , und schlief schnell ein. Ich wusch ab und setzte mich dann zu ihm, aber er war auf dem Sofa zusammengesunken und hatte die Augen geschlossen. Deshalb nahm ich mir meine Stricknadeln und arbeitete weiter an der Wolldecke.
    Der Fernseher dröhnte immer weiter. Ich hatte mich daran gewöhnt, kaum noch hinzuschauen oder hinzuhören, und die andauernde Musik und das Gerede machten mir nichts aus. Es leistete mir Gesellschaft, bewahrte mich davor, mich so einsam zu fühlen, wie ich war. Aberhunderte von Gesichtern bewegten sich im Lichtschein, eines verschwamm mit dem nächsten, und das Gleiche traf auf die Stimmen zu. Sie wurden zu meiner elektronischen Familie. Sie hatten keine Namen, nur verschiedene Schattierungen von Licht und Farbe und unterschiedlich klingende Stimmen.
    Manchmal beklagte Ed sich über das sanfte, alberne Lächeln auf meinem Gesicht, wenn ich arbeitete.
    »Was ist denn so lustig?«, fragte er. »Es sind die Nachrichten, die du dir anschaust, und sie sind schrecklich.«
    »Was? Ach, ich habe gar nicht zugeschaut oder zugehört«, sagte ich.
    »Warum lächelst du denn dann, Francine?«
    Ich legte meine Arbeit hin und überlegte: Hatte ich gelächelt?
    »Ich weiß es nicht, Ed. Mir war gar nicht klar, dass ich gelächelt habe.«
    »Verdammt«, sagte er dann voller Abscheu.
    Ich wusste, dass ich ihn immer mehr verärgerte. Er war sehr
wütend, wenn er für uns die Lebensmittel einkaufen musste, aber ich konnte das nicht mehr.Als ich zum letzten Mal in einen Supermarkt ging , blieb ich in einem Gang wie erstarrt stehen und vergaß meine ganze Liste . Ich ging , ohne etwas gekauft zu haben.
    »Ich arbeite den ganzen Tag und muss auch noch deine Einkäufe erledigen, nur weil du das verdammte Haus nicht verlassen willst?«, schrie er.
    Ich weinte nicht und stritt mich auch nicht mit ihm. Ich starrte ihn einfach an . Er gab dann nach und erledigte die Einkäufe – wütend. Ich fühlte mich deswegen nicht einmal schuldig, obwohl ich wusste, dass es unfair war, ihm diese zusätzliche Last aufzubürden.
    »Es tut mir Leid, Ed«, war alles, was ich sagen konnte.
    »Leid tun nutzt mir nichts«, erwiderte er, aber er schluckte es wie eine übel schmeckende Medizin, und nach einer Weile hörte er auf, sich zu beklagen, nahm einfach die Liste und besorgte, was wir brauchten, entweder auf einer Einkaufsfahrt oder auf dem Weg von der Arbeit zurück nach Hause.
    Zu Beginn bekam ich ein oder zwei Telefonate von Frauen, die ich kannte, aber nach einer Weile hörten sie auf anzurufen. Vermutlich lag es daran, dass ich nicht mehr ans Telefon ging oder, wenn ich abhob, nur noch zuhörte und »ja« oder »nein« sagte, aber nicht mehr. Manchmal sagte ich nicht einmal auf Wiedersehen. Das taten nur sie, und ich legte dann auf.
    Ich wusste also, dass er wieder einmal so tat als ob, wenn er nach Hause kam und mir von den Leuten erzählte, die er getroffen hatte und die sich alle nach mir erkundigt hatten. Niemand fragte nach mir.

    Auf jeden Fall erinnere ich mich daran, wie ich ins Wohnzimmer ging, mich hinsetzte, anfing zu stricken und hin und wieder Ed anschaute, der schnarchte oder im Schlaf vor sich hin murmelte, und dann plötzlich war es da: ein Wirkli. Es saß auf seinen Füßen, ganz zusammengeschrumpelt wie ein hinfälliger alter Mann, die Schultern nach innen gebogen, Arme und Beine dünn wie Spinnenbeine, der Kopf sehr groß, aber sehr, sehr verschrumpelt mit großen schwarzen vorwurfsvollen Augen und Lippen aus zwei dicken blutgefüllten Venen, die mich höhnisch

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