Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
Seiten umblätterte. »Diese Seiten sind alle leer. Warte, hier ist etwas, aber das ist schwer zu lesen.« Ich blinzelte. »Es sieht aus, als hätte sie versucht, den Namen deines Vaters zu schreiben«, sagte ich.
»Lass mal sehen.«
Harley betrachtete es eingehend und nickte.
»Was glaubst du, ist passiert? Es hört sich an, als wäre sie immer kränker geworden, nachdem Suze kam.«
»Ja.« Ich schaute die Brötchen an, die noch im Karton lagen. »Vielleicht etwas im Essen, das sie ihr gab. Irgendetwas Religiöses voller Zauberkräuter, die ihr das Böse austreiben sollten, sie aber stattdessen langsam vergifteten.«
»Genau wie sie es mit uns vorhat«, raunte Harley. Er schaute ebenfalls den Karton an und stieß ihn dann mit dem Fuß weg. »Wir kommen hier heraus«, schwor er.
Er stand auf und ließ einen prüfenden Blick durch den Raum gleiten, überlegte einen Moment und ging dann in die Küche. Mit einem Brotmesser, das er wie einen Dolch hielt, kehrte er zurück.
»Was hast du vor?«, fragte ich.
»Ich werde diese Tür ausgraben, selbst wenn ich es Zentimeter für Zentimeter tun muss. Ich werde versuchen, die Angeln abzusägen«, sagte er und ging durch die Öffnung zurück die kleine Treppe hinauf, wo er zu arbeiten begann, jetzt mit methodischer Verzweiflung.
Es war eine langsame mühselige Arbeit. Die Tür war
zwar alt, aber aus Hartholz gefertigt. Als die Klinge abbrach, musste er ein anderes Messer suchen. Aber es gab keines, das so groß oder so scharf gewesen wäre. Er arbeitete stundenlang.
Ich saß auf der Treppe, sah ihm zu, redete mit ihm und versuchte, ihm zu helfen, aber er hatte Angst, ich würde abgleiten und mich schneiden. Ein paarmal verlor er beinahe die Beherrschung.
Nach Stunden machte er erschöpft eine Pause. Der Schweiß rann ihm über die erhitzten Wangen. Als er das bisherige Ergebnis betrachtete, war er nicht besonders glücklich.
»Der Bolzen sitzt tief drin«, sagte er. »Das wird eine Weile dauern. Besonders wenn man nur ein Buttermesser und eine alte Schere als Werkzeug hat.«
»Lass uns eine Pause machen, Harley«, sagte ich. »Keiner von uns hat viel gegessen, und wir müssen mit unsern Kräften haushalten.«
Er nickte.
»Ich wünschte, eines der Wirklis meiner Großmutter käme her und würde diese Suze zu Tode erschrecken.«
Ich lächelte.
»Vielleicht passiert das ja«, sagte ich.
Wir kehrten in unser neues Versteck und Gefängnis zurück und tranken etwas Wasser, während wir auf dem Sofa saßen.
»Mein Magen knurrt«, sagte er. »Ich esse wohl noch etwas von dem Dörrfleisch.Wie ist es mit dir?«
»Mir geht es gut.«
»Frauen kommen viel länger ohne Nahrung aus«, sagte er, als sei das ein Fehler. »Ich kann es mir nicht einmal vorstellen, eine Diät zu machen, aber manche der Mädchen, die ich aus der Schule kenne, leben anscheinend von Luft.Wenn sie ein Gramm zunehmen, geraten sie in Panik.«
»Ich werde auch hungrig. Im Augenblick erhole ich mich aber noch von der vergangenen Nacht«, sagte ich.
»Ja.« Er biss in das Dörrfleisch und schaute dann gierig auf die Brötchen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie etwas Giftiges in die Brötchen getan hat. Würde das beim Backen nicht sowieso verschwinden?«
»Ich weiß es nicht, Harley.«
»Sie schmeckten ziemlich gut. Und dieser Käse scheint auch in Ordnung zu sein. Ich gehe das Risiko ein«, entschied er, riss ein Brötchen entzwei, stopfte ein Stück Käse dazwischen und verschlang es rasch. Er bot mir etwas davon an, aber ich schüttelte den Kopf.
»Ich werde gleich noch etwas Tee trinken«, sagte ich.
»Du wirst noch krank.«
»Mir geht es gut, Harley.Wir werden nicht mehr lange hier eingesperrt sein«, prophezeite ich optimistisch.
»Ja, stimmt«, sagte er.
»Schließlich ist er dein Großvater«, sagte ich. »Er muss sich doch ein wenig Sorgen machen.« Harley schaute mich an, als ob ich verrückt wäre.
»Sie war seine Frau«, sagte er und nickte zu dem alten Schulheft hin, dem Tagebuch seiner Großmutter. »Schau dir doch an, was er ihr angetan hat.«
»Vielleicht war ihm nicht klar, was passierte«, sagte ich. »Vielleicht tat es ihm Leid.«
Wir mussten doch Hoffnung haben, oder? Davon konnte ich nicht abgehen.
Er nickte.
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie die ganze Zeit hier unten gelebt hat«, sagte Harley und schaute sich im Keller um.
»Nie das Sonnenlicht zu sehen oder die Sterne und den Mond. Nie frische Luft zu atmen. Nie den Duft von Gras und Blumen und
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