Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
fühlt sich an, als hätte ich glühende Holzkohle verschluckt. Ich wollte das nicht. Ich hab den Hotdog wieder zu schnell hinuntergeschlungen. Roy ist bestimmt sauer.«
Er halluzinierte. Lag es am Fieber oder an etwas, das Suze in das Essen getan hatte?
»Mama, halt mich fest, halt mich fest«, bettelte er. »Sei nicht böse auf mich. Bitte. Ich will’s auch nicht wieder tun. Das verspreche ich.«
Ich kroch neben ihn auf das Bett, legte ihm den Arm um die Schultern und drückte sein Gesicht sanft gegen meine Brust. Er fühlte sich so heiß an, dass ich die Hitze durch Bluse und BH spürte.
»Schon gut, Harley«, sagte ich und küsste seine Stirn. Es war wie die Lippen gegen eine Autoscheibe zu drücken, nachdem es eine Weile in der Mittagssonne gestanden hatte. Ich wiegte ihn sanft. »Niemand ist böse auf dich.«
»Mama … Mama …«, murmelte er, und seine Augen schlossen sich. »Sei nicht böse auf mich, weil ich krank bin.«
Ich wusste, dass Tante Glenda nach Latishas Tod immer sehr nervös war, wenn Harley krank wurde, auch wenn es nur eine Erkältung war. Das war verständlich, ganz gleich, wie sehr sie in Panik geriet. Sein hohes Fieber machte mich jetzt jedoch ebenso nervös.
Ich erinnerte mich, wie oft meine Mutter in ihrem Leben Fieber gehabt, manchmal halluziniert hatte. Daddy hatte mir erklärt, dass sie aufgrund ihres Zustandes
anfälliger für bestimmte Infektionen war. Die Ärzte versuchten, sie nicht mit Antibiotika voll zu pumpen, damit sich in ihrem Körper keine resistenten Erreger entwickelten, weil sie dann gezwungen wären, immer stärkere Medikamente anzuwenden, bis diese schließlich auch nicht mehr anschlagen würden. Daddy versuchte oft, ihr Fieber zu senken, indem er sie in eine Wanne mit kaltem Wasser senkte und sie abrieb.
Als ich mich daran erinnerte, kehrte ich in die Küche zurück, suchte einen großen Topf und füllte ihn mit Wasser, das ich laufen ließ, bis es so kalt wie möglich war. Dann machte ich einen Schwamm sauber und kehrte zum Bett zurück. Harley sah aus, als wäre er wieder in einen tiefen Schlaf versunken.Vorsichtig zog ich ihm den Pullover und die Hose aus. Er öffnete weder die Augen, noch stöhnte er. Er wirkte jetzt eher wie im Koma. Ich fing an, ihn mit dem Schwamm abzureiben, und redete dabei leise und tröstlich auf ihn ein. Ich hatte solche Angst. Ich hätte so gerne seine Stimme gehört.
Seine Augen öffneten sich schließlich wieder, und er verlangte kaltes Wasser. Ich half ihm beim Trinken, und er schlief fast augenblicklich wieder ein.Wiederholt rief er im Schlaf seine Mutter und überraschenderweise auch Roy. Ich rieb ihn weiter ab, ersetzte das Wasser im Topf durch frisches, kälteres Wasser und begann von vorne. Seine Atmung schien endlich leichter zu werden, so dass ich aufhörte und eine Weile zusah, wie er friedlich schlief.
Wie oft war ich auf Zehenspitzen in Mommys Zimmer
geschlichen, wenn sie krank war, und hatte ihr beim Schlafen zugesehen. Ich hatte immer solche Angst, sie zu verlieren. Dass sie im Rollstuhl saß, machte sie so anfällig für jede Krankheit, jede Art Schmerz, ganz gleich ein wie tapferes Gesicht sie meinetwegen auch zeigte.
Wenn sie aufwachte und mich dort sitzen sah, lächelte sie und kämpfte sich hoch. Ich lief dann zu ihrem Bett, sie umarmte mich, hielt mich fest und versicherte mir, dass sie wieder gesund würde.
»Mir geht es gut«, sagte sie. »Das ist nichts, Summer. Ich brauche nur ein wenig Ruhe.«
Ganz gleich, wie oft sie das tat oder wie gut und zuversichtlich sie sich anhörte, ich konnte die Erinnerungen daran nicht auslöschen, wie ich mitten in der Nacht aufwachte und hörte, dass Daddy mit Panik in der Stimme den Arzt rief. Lichter gingen an. Mrs Geary lief die Treppe auf und ab. Manchmal kam der Arzt, und manchmal wurde Mommy im Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht. Ich hatte zu große Angst, mein Zimmer zu verlassen, sondern stand an der Tür und spähte hinaus. Wenn ich sah, wie sie auf einer Trage aus ihrem Zimmer transportiert wurde, erstarrte mein Herz zu Eis.
Nach ein oder zwei Tagen nahm Daddy mich mit ins Krankenhaus, um sie zu besuchen. Selbst dort unter den blütenweißen Laken, umgeben von allen möglichen furchteinflößenden medizinischen Geräten, schaffte sie es, mir ein strahlendes glückliches Lächeln zu schenken. Nichts war ihr so wichtig, wie mich von meinen Ängsten zu befreien.
»So wie dein Vater auf mich achtet«, sagte sie mir einmal, als sie mich festhielt, »wird es
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