Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
schlimmste.
»Komm mit«, sagte ich, bevor hitzige Worte einen Flächenbrand entzünden konnten. »Hilf mir, die Partygeschenke herauszuholen und sie auf die Tische zu legen.«
Harley sah aus, als ob rasende Wut ihn taub machte, deshalb sprang ich vor, ergriff seine Hand und zog ihn zur Garage, wo Daddy die Partygeschenke in Kartons aufbewahrte.
»He«, rief Harley. »Immer mit der Ruhe.«
»Wir haben nicht besonders viel Zeit«, sagte ich. »Sie kommen bald.«
»Genau, und wir können die Bande doch nicht enttäuschen.« Er schaute zurück zu Daddy und Onkel Roy, die Augen noch rot vor Zorn. »Immer muss er etwas Hässliches sagen«, beklagte Harley sich.
»Er meint es doch nur gut«, sagte ich.
»Ja, wie eine Klapperschlange dir nur einen Gefallen tut, wenn sie dich beißt. Ich kann mir nicht vorstellen, warum meine Mutter ihn heiraten wollte, aber vermutlich kann man als allein erziehende Mutter nicht besonders wählerisch sein. Du nimmst das erstbeste Angebot an, selbst wenn es von einem Mann mit einem Vorstrafenregister kommt.«
»Er hat kein Vorstrafenregister, Harley.«
»Aber sicher hat er das. Militärgefängnis ist genauso schwerwiegend.«
»Also, das alles hat deiner Mutter nichts ausgemacht. Sie müssen ineinander verliebt gewesen sein, Harley, und sie sind es noch immer.«
Er stieß Luft aus, als wären meine Worte winzige Fliegen, die ihn ärgerten.
»Also, Mommy hat mir erzählt, dass das so war«, beharrte ich. »Sie sagte, dass sie sich zueinander hingezogen fühlten. Sie erzählte mir, dass sie lange Spaziergänge machten, sich unterhielten und ineinander verliebten, wie sich Leute nun mal verlieben.«
Wir betraten die Garage, und ich deutete auf die Kartons zu unserer Linken. Er rührte sich nicht. Stattdessen warf er mir diesen seltsamen Blick zu mit lachenden Augen, aber unbeweglichen Lippen.
»Was ist?«
»Und wie verlieben sich Leute ineinander, Summer?«, fragte er. »Gibt es dafür eine Formel oder so etwas? Denn wenn das so ist, würde ich sie gerne erfahren.«
»Nein, es gibt keine Formel. Sei nicht albern«, sagte ich.
»Ich bin nicht albern«, versicherte er mir. »Sag es mir. Ehrlich«, bat er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was, glaubst du, ist mit ihnen passiert und was passiert allen anderen? Fangen die Glocken an zu läuten? Oder was?«
Als ich nicht antwortete, fügte er hinzu: »Ist es das, was bei dir und Chase Taylor passiert?«
»Hör auf, Harley.«
»Hör auf womit?«
»Mich zu hänseln, dich über alles, was ich sage, lustig zu machen.«
»Das tue ich nicht«, protestierte er mit ausgestreckten Armen. »Ich will es wirklich wissen.« Das sardonische Lächeln verschwand von seinem Gesicht. »Glaubst du mir nicht, wenn ich sage, dass ich mich die ganze Zeit über meine Mutter und ihn wundere? Jetzt sprechen sie kaum miteinander, und das liegt nicht nur daran, was mit Latisha passiert ist, und an dem religiösen Fimmel meiner Mutter.Wenn ich beim Frühstück keine Fragen stellen oder rülpsen würde, wäre es wie in einem Stummfilm.
Sie gehen nie irgendwo hin, keine Einladungen, keine Restaurants, keine Filme. Sie reden nicht darüber, in Urlaub zu fahren, wie deine Eltern es tun. Deine Mutter sitzt im Rollstuhl, und sie tut mehr als meine Mutter. Es ist ebenso Roys Schuld wie ihre.«
»Wie kommt es, dass du ihn nie Daddy oder Dad oder Vater nennst, Harley?«
»Weil … er nicht mein Vater ist. Mein Vater ist da draußen«, sagte er und winkte in Richtung Tor, »irgendwo da draußen, und er verschwendet nicht einmal einen flüchtigen Gedanken an mich.Wie kann es sein, dass du ein Kind hast und kein bisschen neugierig darauf bist, dich überhaupt nicht darum kümmerst?«
»Nun, Roy kümmert sich um dich. Er hat dich offiziell adoptiert, nicht wahr?«
»Ganz toll«, höhnte er. »Wer hat ihn darum gebeten?«
»Er versucht dir ein guter Vater zu sein. Er arbeitet
hart, um dich und deine Mutter zu versorgen, und er hat ein schönes Haus gebaut und …«
»Vergiss es, Summer. Das wirst du nie verstehen«, sagte er und senkte den Kopf.
»Warum?«
»Weil du zu …«
»Was?«, wollte ich wissen. Zorn stieg in mir hoch wie kochende Milch. Wenn er es wagt zu sagen, ich sei zu jung, dann …
»Nett«, sagte er stattdessen.
»Was?«
»Du vertraust jedem. Ich traue nicht einmal mir selbst«, sagte er.
Er ging zu den Kartons und stapelte sie sich auf die Arme.
»Was soll das heißen? Ich bin zu nett? Du hast Recht, Harley. Das verstehe ich
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