Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
stärker davon beeindruckt als Onkel Roy. Ich weiß, dass ihn das dazu brachte, über sich selbst nachzudenken. Ohne große Vorankündigung ging er am nächsten Tag los und kaufte sich auch etwas Neues zum Anziehen. Als Harley sah, was passierte, wirkte er verblüfft, aber statt glücklich darüber zu sein, schien er noch besorgter. Ich ging zu ihm hinüber, als er gerade sein Motorrad putzte und polierte.
»Hast du gesehen, wie hübsch deine Mutter mit ihrer neuen Frisur aussieht?«, fragte ich.
Er nickte und arbeitete weiter.
»Daddy hat uns von Onkel Roys neuem Anzug erzählt. Er ist zum selben Schneider gegangen, um ihn ändern zu lassen. Ist das nicht wunderbar?«
Er sagte nichts, sondern konzentrierte sich auf ein
winziges Teil, als ob die Welt davon abhinge, dass es makellos war.
»Harley Arnold, du könntest wenigstens dein berühmtes Grunzen von dir geben«, sagte ich.
Er hielt inne, schaute mich an und stand auf.
»Es macht mich einfach nervös«, gab er schließlich zu und lief, nachdem er das getan hatte, in Richtung See.
»Warum?«, fragte ich und rannte hinter ihm her.
»Ich mache meinen Schulabschluss, tolle Sache. Nach der bombastischen Feier und dem Jubel, was passiert dann? Ich habe mich nicht einmal für ein College beworben oder sonst etwas gemacht. Ich habe mich nicht einmal zur Armee gemeldet.
Wir gehen zu der Feier in der Schule, gehen mit deinen Eltern essen und kommen dann nach Haus ins Nichts«, sagte er. »Meine Mutter wird ihr neues Kleid in den Schrank hängen, ihre neuen Schuhe und die Handtasche wegräumen, und Roy wird das Gleiche tun mit seinem Anzug. All das ist nur … eine Unterbrechung.«
»Du musst damit aufhören«, sagte ich. Ich stampfte sogar mit dem Fuß auf, was ein überraschtes Lächeln auf seine Lippen zauberte. »Du musst damit aufhören, alles schwarz zu sehen. Das ist falsch, falsch, falsch. Das ist nicht wie ein Schluckauf in deinem trübseligen Leben, Harley Arnold. Du hast bereits etwas erreicht, und jetzt wirst du noch größere und wichtigere Sachen erreichen.
Am Montag marschierst du geradewegs in das Beratungsbüro und redest mit Mr Springer. Es gibt viele
Schulen, die dich immer noch als Erstsemester in Betracht ziehen werden.«
»Ja, und wer wird dafür bezahlen?«
»Ich wette, wenn du angenommen wirst, wird Onkel Roy sich darum kümmern. Und du weißt doch, dass du gutes Geld verdienen wirst, wenn du diesen Sommer bei ihm arbeitest. Das tust du doch immer.«
»Stimmt«, meinte er skeptisch.
»Du musst es versuchen, Harley. Du musst die Gelegenheit beim Schopf packen.«
»Ich? Im College?«
»Vor ein paar Wochen hättest du nur gelacht über die Vorstellung, dass du all deine Abschlussprüfungen bestehst, stimmt’s? Und?«, hakte ich nach, als er nicht reagierte.
»Ich denke schon.«
»Dann denk noch einmal und steck dir höhere Ziele«, beharrte ich.
Sein Lächeln wurde breiter.
»Du bist verblüffend, Summer. Du bist wie die alte Eiche, die vor Jahren vom Blitz getroffen wurde«, sagte er und nickte zu dem Baum hin. »Er trieb neue Zweige aus und wächst immer weiter, klammert sich an jeden Sonnenstrahl. Ich wette, jeder deprimierte Grashalm und jede Wildblume sonnt sich in seinem Glanz und schöpft daraus Hoffnung.«
»Nenn mich ruhig einen alten Baum oder was du sonst willst, solange du nicht aufgibst«, sagte ich.
Er lachte und wurde dann wieder ernst.
Jeden Sommer in den letzten vier Jahren hatte ich an einem Musikferienlager in Williamsburg teilgenommen, wo ich Klavier- und Klarinettenunterricht erhielt, an Ensembleproben teilnahm und im Schulorchester mitspielte. Es war eine kleine Schule mit nur fünfzig Schülern, die Mädchen befanden sich auf der einen Seite des Wohnheims, die Jungen auf der anderen. Es war ein Programm, das nur sechs Wochen dauerte, in denen aber sehr konzentriert gearbeitet wurde. Mommy und Daddy kamen mich normalerweise am Wochenende besuchen. Am Ende des Programms gab es eine Aufführung für unsere Eltern, Freunde und Verwandten, die auch viele Einheimische besuchten, weil die Schule solch einen guten Ruf besaß.
Die Schule bot auch weitere Freizeitaktivitäten an, hatte einen Swimmingpool, präsentierte zweimal in der Woche ein Kinoprogramm und einmal die Woche ein geselliges Beisammensein, bei dem Schüler die Musik zum Tanzen beisteuerten. Es gab ein sehr komfortables modernes Wohnheim, in dem jeweils zwei Schüler ein Zimmer belegten. In den letzten beiden Jahren hatte ich die gleiche
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