Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
wir den schmalen Fußweg entlanggingen. Ich versuchte mit der Spitze der Krücke auf den Steinen zu bleiben.
Wir stiegen die Treppe hinauf und gingen zur Haustür. Unter unseren Schritten klapperten die losen Holzlatten des Verandabodens. Als ich rechts durch das Fenster schaute, sah ich auf einem Tisch eine schwach erleuchtete Lampe. Bestimmt war dies das Wohnzimmer. An der Tür gab es weder eine Klingel noch einen Klopfer. Harley zuckte die Achseln und klopfte dann mit den Knöcheln leise gegen die Tür. Er wartete einen Moment und klopfte dann fester.
Gute dreißig oder vierzig Sekunden vergingen, bis wir hörten, wie ein Riegel geöffnet wurde. Als die Tür
aufging, schaute eine große, sehr dunkelhäutige Frau zu uns hinaus. Ihr Haar war in einem Knoten so fest zusammengezogen, dass sich die Haut an Schläfen und Stirn spannte. Sie trug ein dunkelrotes Kleid mit Ärmeln, die bis zu den Ellenbogen reichten. Obwohl ihre Haut nur kaum sichtbare Falten aufwies, war ihr Haar von grauen Strähnen durchzogen. Ich hatte noch nie so durchdringend ebenholzschwarze Augen gesehen. Sie saßen über ihren sehr hohen Wangenknochen. Ihr Kiefer war scharf geschnitten und verlieh ihr ein schmales, spitzes Kinn, aber ihre Lippen waren voll, weich und enthüllten perfekte schneeweiße Zähne.
»Oui?«, sagte sie.
Harley schaute mich an, um zu sehen, ob ich wusste, was das bedeutete, aber ich schüttelte den Kopf.
»Ich bin Harley«, sagte er. »Ich bin hergekommen, um Fletcher Victor zu besuchen.«
Sie ließ ihren Blick von ihm zu mir wandern, dann drehte sie sich um, ließ die Tür offen und ging zurück zur Tür des Wohnzimmers.
Sie murmelte etwas, und einen Augenblick später tauchte neben ihr der Mann auf, den ich für Harleys leiblichen Vater hielt. Er sah aus, als hätte sie ihn gerade geweckt. Sein dichter Schopf schwarz-grauen Haares war zerzaust, als wäre jemand minutenlang mit den Fingern hindurchgefahren. Er trug einen Overall, der mit blauer, weißer, roter und grüner Farbe befleckt war, und darunter ein völlig ausgeblichenes T-Shirt. Er war barfuß, der Nagel an seiner rechten dicken Zehe war schwarz.
Harley und ich konnten ihn nur anstarren. Es war ganz natürlich, nach Ähnlichkeiten zu suchen. Harley und er hatten ähnliche Nasen, und beide hatten haselnussbraune Augen. Ich fand, ihre Münder waren verschieden, Harleys war weicher mit dünneren Lippen, aber sie hatten den gleichen Kiefer und gleich geformte Ohren.Wie Harley war sein Vater über einen Meter achtzig groß, aber er war stämmiger gebaut und hatte einen dickeren Hals. Seine Schultern waren dagegen ein bisschen gebeugt.
Am überraschendsten war jedoch, wie alt er aussah. Hatten die Zeit und ein hartes Leben ihn so schnell altern lassen? Oder war er viel älter, als wir dachten, als er Harleys Mutter kennen gelernt hatte?
Er rieb sich kräftig die Wangen, um den Schlaf zu vertreiben, und lächelte dann.
»Also«, sagte er. »Da bist du ja. Das ist mein Junge«, teilte er der großen, schwarzen Lady mit.
Sie starrte ihn an, als wäre sie taub. In ihrem Gesicht war weder eine Reaktion noch irgendein Interesse abzulesen.
Sein Vater trat vor.
»Komm herein, komm herein. Lass dich anschauen, Junge.«
Er streckte die Hände aus, legte sie auf Harleys Schultern, packte ihn und hielt ihn einen Moment fest, während er sein Äußeres in sich aufnahm und nickte.
»Schau dir dieses Kind an, Suze. Ist er mir nicht wie aus dem Gesicht geschnitten? Hm?«, sagte er, drehte sich zu ihr um und erwartete eine Reaktion von ihr.
»Oui«, sagte sie. So sagt sie also ja, schloss ich. »Bon«, fügte sie hinzu.
»Also«, fuhr Harleys Vater fort und hielt ihn immer noch bei den Schultern, »du hast es also gut hierher geschafft, ja?«
»Ja«, sagte Harley. Dann warf er mir einen Blick zu. »Also, vielleicht nicht ganz so gut.Wir hatten einen Unfall direkt außerhalb von Centerville. Zwei Typen in einem Pick-up verfolgten uns, und ich stürzte, als ich versuchte, ihnen zu entkommen. Summer hat sich das Fußgelenk verletzt«, fuhr er fort. Er war so nervös, dass er ständig weiterreden musste. »Ich brachte sie hier direkt zum Arzt. Er behandelte ihren Fuß und gab ihr eine Krücke, die sie benutzen kann, solange wir hier sind.«
»Im Ernst?« Er ließ Harley los und wandte sich an mich, die Hände auf die Hüften gestemmt. »Wie heißt du – Summer?«
»Ja, Sir«, sagte ich.
»Wer ist sie?«, fragte er Harley.
»Sie ist meine beste Freundin«,
Weitere Kostenlose Bücher