Die Hüter der Nacht
jemanden zu verhaften. Ich bin hier, um die Frau zu retten, die ich liebe.«
»Ihr Baby, meinen Sie.«
»Nein, meine Freundin. Sie darf dieses Baby nicht verlieren, Sir. Sie wissen das … und ich weiß es.«
Hessler betrachtete Ben mit anderen Augen, als ob sie etwas teilten, das keiner von beiden ganz verstand. »Und warum sollte ich Ihnen vertrauen?«
»Wenn Sie zustimmen und ich die Diskette trotzdem veröffentliche, wird nichts Sie davon abhalten können, mich umzubringen … und Pakad Barnea.«
Hessler runzelte die Stirn und überlegte. »Ich muss zuerst diese Diskette sehen.«
»Das habe ich erwartet.«
»Kommen Sie, Inspector«, sagte Hessler und legte eine zitternde Hand auf Bens Ellenbogen. »In meinem Büro steht ein Computer. Ich sorge dafür, dass wir nicht gestört werden.«
82.
Die drei gemieteten Ford Explorer trafen nach Einbruch der Dunkelheit in New York City ein, jeder gefahren von einem amerikanischen Mitglied der Wächter des Tores, das mit den hiesigen Straßen und Verkehrsvorschriften vertraut war. Anna Krieger saß auf dem Beifahrersitz des ersten Explorer, froh, dass ihr niemand die Erschöpfung an den Gesichtszügen ansehen konnte.
Anna erlebte diese Augenblicke mit der bedrückenden Erkenntnis, dass gewissermaßen ihre Existenzberechtigung endete. Eine Ära war vergangen; sie war das letzte Überbleibsel. Abraham Vorsky war tot, und Anna fragte sich, ob es sonst noch jemanden gab, der sich an ihre Eltern und ihr mutiges, selbstloses Handeln erinnern konnte, das sie das Leben gekostet hatte.
Sie wusste, dass Paul Hessler, in Wirklichkeit Karl Mundt, für sie sterben musste, nicht sosehr als Bestrafung, sondern als Rechtfertigung aller Werte, an die sie stets geglaubt hatte. Er war kein wirklicher Bösewicht, und seine Hinrichtung bedeutete keinen großen Sieg. Was er getan hatte, war vorüber und vor langer Zeit geschehen. Anna hatte Vorskys Anruf in der vergangenen Woche, als er sie nach Israel gerufen hatte, begrüßt und gehofft, wieder ein Ziel zu haben, einen Grund zum Handeln. Eine weitere Lüge. Anna hatte es für sich selbst getan – und dies war der Preis, den sie zahlen würde; nach Paul Hesslers Tod würde nur noch das schreckliche Wissen bleiben, dass es keine anderen wie ihn mehr gab.
Anna konnte sich nicht vorstellen, wie sie weiterleben sollte, ohne ihre alten Ziele zu verfolgen. Die letzten Jahre war es mit den Wächtern des Tores stetig bergab gegangen; gesellschaftliche Veränderungen hatten ihnen die Ziele gestohlen, hatten Deutschland verändert. Die Bundesrepublik hatte sich schließlich bereit erklärt, die Überlebenden des Holocaust finanziell zu entschädigen, hatte sogar die Schweizer Banken, die sich am Vermögen jüdischer Familien bereichert hatten, gezwungen, Wiedergutmachungen für die Erben zu leisten. Es gab keinen Grund mehr, die Vergangenheit zu leugnen, weil sie bald vorüber war.
Doch für Anna Krieger blieb eine letzte Aufgabe.
83.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte Paul Hessler zu seinen Sicherheitsleuten, als er Ben zu seinem Privataufzug geführt hatte. »Mein Gast und ich fahren zu meinem Büro hinauf.«
Die Männer mit den Blazern versteiften sich. Es war ihnen anzusehen, dass sie sich unbehaglich fühlten, da ihnen nicht erlaubt wurde, ihren Auftraggeber zu begleiten.
»Vorausgesetzt, ich stimme diesem Handel zu, Inspector«, sagte Hessler, nachdem sich die Aufzugtür geschlossen hatte, »wird Pakad Barnea für die Behandlungen hier zum Hessler Institute kommen müssen.«
Ben spürte, wie der Expresslift in die Höhe schoss – so schnell, dass er Druck auf den Ohren verspürte. »Das wird sich machen lassen.«
»Sie meinen, sie wird sich entscheiden wie Sie? Eine großartige Kriminalbeamtin hilft, die Ermordung dreier israelischer Staatsbürger zu vertuschen? Brutale Killer ungestraft davonkommen zu lassen?«
Über dieses Problem hatte Ben nicht nachgedacht. »Ich weiß, wie sehr sie sich das Baby wünscht, Mr. Hessler«, sagte er nur. »Sie wird einverstanden sein.«
Die Aufzugtür glitt auf, als sie Hesslers Büro im obersten Stock erreichten, und das leise Rauschen des künstlichen Wasserfalls verdrängte das mechanische Summen des Aufzugs. Paul Hessler betrat das Büro als Erster und ging zu seinem Schreibtisch im hinteren Teil.
Ben sah, dass ein Computer darauf stand, und griff in die Tasche, um die Diskette hervorzuziehen, als ein riesiger Schatten aus der Deckung des Wasserfalls vor Hessler sprang.
»Nein!«,
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