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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Selbst Susan Hamilton empfand manchmal so. Sie, Leslie, brauchte schließlich nicht mit Christina zu leben.
    »Oder nimm zum Beispiel Drogensüchtige. Manche stecken in einer unausweichlichen Zwangslage. Jeden Tag müssen sie Waren im Wert von dreihundert Dollar stehlen und an einen Hehler verkaufen, um sich genug Heroin spritzen zu können, weil sie sonst Höllenqualen leiden. Und was ist mit drogenabhängigen Prostituierten, denen nichts anderes übrigbleibt, als sich sogar mit den übelsten und brutalsten Männern einzulassen? Manche solcher Frauen versuchen immer wieder erfolglos, sich umzubringen. Die Ärzte zerren sie aus dem Grab zurück, nur um sie von neuem in eine Welt hinauszuschicken, die sie ausbeutet und wie Dreck behandelt! Leslie, wenn ich in einer so ausweglosen Lage stecken würde, wäre ich dankbar, wenn irgend etwas mich zur Quelle des Seins zurückschickte, auf daß ich in einem stärkeren, vielleicht gesünderen Körper wiedergeboren werde, in ein weniger qualvolles Leben! « Seine Stimme klang grimmig. »Hör mich an, Liebste, aber laß dich von deinem Verstand leiten und nicht von deinen Emotionen. Diese Frau führte ein Leben, das ihr zu einer schrecklichen Last geworden war, und sie wollte es beenden. Ich habe nichts getan, das ich mir nicht für mich selbst wünschen würde. Sollte ich erblinden und eine Hand verlieren, so sagte ich mir damals im Krankenhaus, würde ich um den Mut beten, eine Rasierklinge anzusetzen«, erklärte er heftig, »und sie kräftig bis hier zu ziehen.« Mit seiner narbigen Fingerspitze beschrieb er eine Linie über seine Kehle. »Ich würde zu den Herren des Karma zurückkehren wollen und nur darum beten, als Musiker wiedergeboren zu werden.«
    Ich wollte sterben. Die Tabletten, der goldene Schuß damals. Simon hielt Leslies Finger jetzt mit beiden Händen umklammert.
    »Meine Geliebte, das war der Tag, an dem die Ärzte mir mitteilten, daß ich nach weiteren Behandlungen wahrscheinlich auf dem linken Auge wieder sehen kann, und meine Hand … du hast mich spielen hören, nicht so wie früher, aber immerhin. Jetzt weiß ich, daß ich wieder auftreten werde. Ich werde mich nicht als verunstaltetes, blindes Nichts durchs Leben schlagen; ein Krüppel, der irgendwelchen Nieten Unterricht erteilt, um nicht von der Sozialhilfe leben zu müssen! Kannst du mich dafür verurteilen? Wenn das Schwarze Magie ist, Liebste, dann frohlocke ich darüber! Ich bin ein Nachfahre der großen Adepten, von John Dee und Aleister Crowley – und ich bin stolz auf mein Erbe!«
    Leslie weinte. Selbst wenn Simon irrte, wie sollte sie ihn dafür verdammen? Wie konnte sie angesichts seines Leidens den Stab über ihn brechen? »Oh, Simon, Simon«, schluchzte sie, »mir ist gleich, was du getan hast. Ich liebe dich.«

17
     
     
    Doch Leslie büßte schwer für ihre blinde Hingabe. Während der nächsten paar Wochen erlebte sie in ihren Alpträumen immer wieder das Ritual. Manchmal zerrte Simon sie in den Tempel, damit sie ihm half, eine weiße Katze zu opfern. Dann wieder war das Opfer Alison, die Claires Gesicht besaß. Gelegentlich lagen Leslie selbst oder Emily gefesselt auf dem Altar, oder ein Teil ihres Ichs beobachtete in stummem Protest, wie ein anderer Teil von ihr das Messer hob. Es kam so weit, daß sie sich vor dem Einschlafen fürchtete. Aber im Wachen sagte sie sich immer wieder grimmig, daß Simons Leben und seine Genesung das Leben einer unbekannten drogensüchtigen Prostituierten wert waren. Falls die Sache sich überhaupt so zugetragen hatte. Manchmal erklärte Simon ihr im Traum auch, er habe sie nur prüfen wollen, feststellen, ob sie das Unaussprechliche akzeptieren würde. Und das hatte sie getan. Was sollte sie sonst tun? Zur Polizei gehen? Was konnte Simon daran hindern, den Beamten zu erklären, es habe sich bloß um einen makabren Scherz gehandelt? Und dann würde er ihr nie wieder vertrauen …
    Und wenn sie aus ihren Träumen erwachte und Simon anschaute, dann wußte sie, daß sie ihn liebte, was immer er getan haben mochte, und daß sie ihn schützen würde, sollte die Polizei tatsächlich bei ihr auftauchen. Aber wenn sie Simon in die Augen schaute, war sie dankbar dafür, daß seine außersinnlichen Gaben – wie immer sie beschaffen sein mochten – sich nicht auf Telepathie erstreckten, so daß er ihre Gedanken nicht lesen konnte.
    Im Laufe ihrer Berufsjahre war Leslie ihnen schon begegnet – den Frauen, die sich an Verbrecher klammerten und ihre Liebe zu

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