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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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bezog, die er allerdings nicht mehr trug – wurde mit neuer weiblicher Begleitung gesehen. Doch begehrt er wirklich die dunkle Lady oder ihre Teenager-Schwester, die er mit gleicher Begeisterung durch die Stadt eskortiert? Oder hält doppelt genäht einfach besser? Wer macht hier die Anstandsdame für wen?
    Es ärgerte Leslie immer wieder, daß es Menschen gab, die nichts anderes lasen als solche Blätter. Simon würde mit Emily zum Abendessen nach Hause kommen; er schien ihre viktorianische Küche ebenso zu lieben wie die elegante und hochmoderne in seiner Wohnung. Vielleicht würde sie nach dem Essen mit ihm fahren und die Nacht bei ihm verbringen … Der Gedanke erfüllte sie mit köstlicher Vorfreude, doch sie schob ihn rasch beiseite. Jetzt mußte sie erst einmal mit Judy Attenbury reden, die langsam, aber sicher wieder an Gewicht verlor.
    Wahrscheinlich waren nur Transsexuelle therapieresistenter als Magersüchtige, und das aus demselben Grund: Sie glaubten sich im Recht und die ganze Welt im Unrecht. Was für eine merkwürdige Verkettung von Ursache und Wirkung aus dem jetzigen oder einem anderen Leben mochte einen Mann dazu bewegen, hartnäckig zu glauben, in Wirklichkeit eine Frau zu sein, die im Körper eines Mannes gefangen war? Oder brachte junge Mädchen dazu, immer mehr abzumagern und sich manchmal buchstäblich zu Tode zu hungern? Was wußte die konventionelle Psychotherapie schon über die menschliche Seele? Leslie fragte sich, ob die Psychologie überhaupt irgendwelche Antworten parat hatte. Sie selbst jedenfalls hatte keine.
    Leslie wurde klar, daß sie wieder einmal von ernsten Selbstzweifeln gequält wurde. Aber es hatte keinen Sinn, dem nachzugeben. Dennoch war sie erleichtert, als ihre nächste Patientin anrief, um ihre Sitzung zu verschieben – eine geschiedene Hausfrau, die sich ein neues Leben aufzubauen versuchte, nachdem sie zwanzig Jahre lang ihre Identität als perfekte Hausfrau und Mutter gefunden hatte.
    Leslie konsultierte ihren Kalender, um einen neuen Termin für die Frau zu finden, und ging in den Garten. Immer noch entdeckte sie in entlegenen Ecken Blumen, die sie nicht kannte. In der Sommersonne dufteten die Kräuter berauschend. Über einem stark duftenden Lantana-Busch summten die Bienen, und Hummeln brummten wie winzige Helikopter um das Geißblatt herum. Leslie fand eine schwere Gartenschere und machte sich daran, die Rizinusbüsche zurückzuschneiden. Noch zwei Stunden, bevor Susan Hamilton kam.
    Im Garten war es unendlich friedlich. Die grünen Blätter fingen so viel Licht ein, daß selbst der Himmel einen grünlichen Schimmer über Leslie zu werfen schien. Für eine Stadt, die auf Sanddünen errichtet war, gab es in San Francisco erstaunlich viel Grün. Aber Leslie erinnerte sich daran, daß jeder Grashalm bis hin zu den exotischen Pflanzen im Golden Gate Park von Menschen hergebracht und Halm für Halm, Blatt für Blatt kultiviert worden war. Lag darin die Lektion, daß man nicht alles der Natur überlassen durfte? Kurz stand eine Vision der Stadt vor ihren Augen, wie sie sich kahl und leer auf Sanddünen bis ins Meer erstreckte.
    Leslie stopfte die Blätter, Zweige und giftigen Schoten der Rizinusbüsche in einen Müllsack und band ihn fest zu. Vielleicht sollte sie mal zum Tierheim fahren und sich eine Katze für den Garten holen. Oder Claire könnte ihr ein weißes Tier geben. Frodo hatte erwähnt, daß sie oft Katzen fortzugeben hatte und froh wäre, für eine ein gutes Heim zu finden. Nein, keine weiße Katze. Sie war schließlich nicht Alison. Zwar lebte sie in Alisons Haus und schien ihre Praxis geerbt zu haben, aber sie würde sich ihre Umgebung nach ihrem eigenen Geschmack gestalten.
    Wie wäre es mit einer schwarzen Katze wie der, die Colin Monsignore genannt hatte, einer Tigerkatze oder einem rostbraunen Tier? Leslie kannte ein paar Leute in den Hügeln von Berkeley, die einen Wurf rostfarbener Katzen mit einem Einschlag von Wildkatze besaßen. Ihr alter Kater hatte in den umliegenden Hügeln Hunderte rostbrauner Kätzchen gezeugt.
    Leslie schleppte den Abfallsack zum vorderen Gartentor, wo die Mülltonnen standen, und versuchte sich dabei eine rostrote Katze unter dem Zitronenbaum vorzustellen. Am Tor blieb sie wie angewurzelt stehen. Ein schwarzweißer Polizeiwagen stand vor dem Haus, und ein uniformierter Streifenpolizist kam den Weg herauf.
    »Im Haus ist niemand«, rief Leslie. »Ich bin hier im Garten. Was ist los, Officer?« Wie bei jedem Menschen, der

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