Die Hüter der Schatten
Peggy Terman und deren mit einem Fluch belegtes Erbe wieder einfiel. »Haben Sie hier ein Betrugsdezernat? Eine Abteilung, die sich um Schwindler kümmert?«
»Sicher«, antwortete Schafardi. »Aber die Kollegen sind nur von acht bis vier im Dienst. Unsere Schicht dauert von vier bis Mitternacht, deshalb bekommen wir sie nie zu Gesicht. Warum? Hat man Sie beschwindelt?«
»Nicht mich. Die Dame ist nicht einmal meine Patientin«, erklärte Leslie. »Ich habe heute zufällig davon gehört.« Sie erzählte die Geschichte, und Pat Ballantine kicherte. Officer Schafardi dagegen wirkte zornig.
»Ich weiß noch, daß die alte Miss Margrave uns vor zehn, fünfzehn Jahren von dieser Masche berichtet hat«, bemerkte er. »Solche Gaunereien bringen die ganze Hellseherzunft in Verruf.« Das Kinn in die Hände gestützt, saß er da. »Ich werde Mama Jesse mal auf den Zahn fühlen«, meinte er. »Sie besitzt unten am Fisherman’s Wharf eine Bude, wo sie Karten legt, aber ich habe auch gehört, daß sie nebenbei ein paar lukrativere Geschäfte betreibt. Diese Sache klingt mir sehr nach Mama Jesse. Danke für den Tip, Dr. Barnes. Wir können allerdings nicht viel unternehmen, wenn Ihre Bekannte nicht zu einer Zeugenaussage bereit ist. Aber ich werde die Parole ausgeben, Mama Jesse im Auge zu behalten. Mag sein, daß sie das eine Zeitlang von Schandtaten abhält.«
Welche Erleichterung, zu Simon in den Warteraum zurückzukehren! Seine schlanke, elegante Gestalt in dem gutgeschnittenen Anzug hob sich wohltuend von der schmuddeligen Umgebung ab. Als Leslie eintrat, sprang er auf.
»Fertig? Dann laß uns fahren.«
Selbst wenn er im Garten arbeitet, dachte Leslie, wirkt er kultiviert und vollkommen beherrscht. Sie konnte sich Simon nicht in einem Overall oder in eingefärbten Baumwollhosen vorstellen, wie Frodo sie trug. Aber das Image, das Frodo ablehnte, gehörte zur Tradition der klassischen Musik. Was konnte einen so talentierten und intelligenten jungen Mann wie Frodo bewogen haben, sich so vollständig davon zu distanzieren? Und wenn er sich von dieser Tradition abwandte, war er dann wirklich der Richtige für Emily? Sie hatte sich ihre Welt selbst gewählt, und in dieser Welt war Simon ihr Mentor, nicht Frodo. Trotzdem war sie offenbar glücklich gewesen und er mit Emily …
»Die Brille macht mir immer noch Probleme, Leslie. Würdest du fahren?«
»Selbstverständlich, Liebling.«
»Bist du auch nicht zu müde?«
»Nein, natürlich nicht.« Was ihr zusetzte, war keine körperliche Müdigkeit, sondern die geistige und emotionale Erschöpfung. Doch sobald sie die Probleme ihrer Patienten und ihre Verwirrung über Alison Margraves’ kompliziertes Erbe hinter sich ließ, war sie innerlich ruhig.
Wohlig seufzend nahm sie hinter dem Lenkrad Platz. Es bereitete ihr immer wieder Vergnügen, Simons großen, luxuriösen Mercedes zu fahren.
Zu Hause, als sie beim Weißwein saßen, streckte Simon seine narbenbedeckte Hand aus und legte sie fest auf die ihre. »Leslie, wir sollten zusammen leben. Du weißt genau, daß es für uns beide gut wäre.«
Sie wußte, daß er recht hatte. Aber der Gedanke war zugleich irgendwie … verrückt. Sie kannte diesen Mann erst kurze Zeit. Und durch ihre berufliche Tätigkeit war Leslie sich mehr als andere Menschen der Gefahren bewußt, die eine Verbindung mit sich brachte, die auf einer überwältigenden sexuellen Anziehung beruhte. Doch ihre Gefühle für Simon gingen weit über erotische Leidenschaft hinaus. Wir gehören seit Ewigkeiten zusammen, dachte sie und fragte sich dann, was sie damit gemeint hatte.
»Ja, du hast recht. Aber ich muß auch an Emily denken. Ich kann sie noch nicht allein lassen.«
Simon zog sie an seine Schulter, und zufrieden lehnte sie sich an ihn. »Emily gehört für mich zur Familie, das weißt du doch. Sollte es wirklich so weit kommen …« Leslie war ihm so nahe, daß sie spürte, wie er sich plötzlich am ganzen Körper verspannte. »Hätte das Schicksal es gewollt, daß ich nie wieder spiele, hätte ich mich sogar damit abfinden können, Emily als meinen Schützling zu betrachten … und ihre Karriere wie die meine. Manchmal ist diese Versuchung fast unwiderstehlich, den Kampf aufzugeben, die Schmerzen los zu sein …« Leslie spürte, wie er den Atem ausstieß. »Mich geschlagen zu geben. Einfach loszulassen.«
Sie flüsterte beinahe. »Aber du kannst es nicht, Simon. Nicht wahr?«
»Nein.« Seine Stimme kam wie aus weiter Ferne. »Mir bleibt keine
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