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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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»Das verstehe ich nicht«, sagte sie verwundert. »Dieser Mann sitzt zu Hause, zusammen mit seiner … seiner Großmutter.«
    »Was habe ich dir gesagt, Pat?« schaltete sich der stämmige Schafardi ein. »Ich wußte gleich, daß sie es merkt. Entschuldigen Sie bitte, Dr. Barnes, das war nur ein kleiner Test, ähnlich wie bei einer Gegenüberstellung. Das Bild in Ihrer Hand zeigt einen unserer jungen Zivilermittler. Es gibt solche und solche Hellseher, und die Burschen vom Dezernat machen mir sowieso schon die Hölle heiß, weil ich mit derartigen Methoden arbeite. Also dachte ich mir, ein kleiner Test könnte nichts schaden.«
    Leslie blickte ihn nur düster an.
    Patricia Ballantine reichte ihr eine weitere Mappe. »Das ist jetzt die Akte über Gus Hansen – der junge Mann, der vermißt wird.«
    Leslie empfing verworrene Eindrücke: Ein Apartment mit weißgetünchten Wänden, ein Poster von irgendeinem Rocksänger, eine zerwühlte Matratze, Wanderstiefel, ein orangefarbener Rucksack … »Haben Sie seinen Rucksack gefunden?« fragte sie zögernd.
    »Pat, hat einer der Kollegen einen Rucksack erwähnt?« fragte Schafardi. Patricia Ballantine schüttelte den Kopf.
    »Ich … ich habe nicht den Eindruck, daß er tot ist. Der junge Mann trägt Wanderstiefel und einen Rucksack – er ist mit einem Mädchen irgendwohin gegangen. Ich glaube, das Mädchen ist schwanger, aber erst ungefähr in der sechsten Woche …«
    »Seine Eltern haben erzählt, er hätte sich Sorgen wegen eines Mädchens gemacht«, meinte Pat Ballantine.
    »Sie ist minderjährig«, hörte Leslie sich sagen. »Noch keine sechzehn. Deswegen hatte er seiner Familie nichts von der Schwangerschaft erzählt. Die jungen Leute haben eine Wanderkarte gekauft. Überprüfen Sie einen … einen Laden für Campingbedarf. Sie wollten allein sein, miteinander reden und entscheiden, was sie tun sollten. Wo sie jetzt sind, ist es kalt. Irgendwo hoch oben. Sie sind unverletzt, aber sie können nicht hinunter …«
    »Hansens Apartment liegt nur einen halben Block von einem großen Sportartikelgeschäft entfernt«, erklärte Schafardi.
    Leslie reichte der Polizistin die Akte zurück. Erst als sie den Atem ausstieß, fiel ihr auf, daß sie die ganze Zeit die Luft angehalten hatte.
    »Den beiden geht es gut. Sie werden heiraten«, sagte sie noch – und dann war alles verschwunden. Leslie erinnerte sich kaum noch daran, was sie gesagt hatte; die ganze Geschichte kam ihr mit einem Mal so fern vor wie die Hieroglyphen auf den Mauern der Pyramiden und bedeutete ihr ebenso wenig. Hatte sie sich gerade wirklich in die beiden Vermißten eingefühlt, die Angst des jungen Mannes und die Panik des Mädchens mitempfunden, ihr Bedürfnis, in die Wälder zu ziehen, um allein zu sein, ohne andere Menschen, die ihr Problem noch kompliziert hätten? Das schwangere Mädchen war jünger als Emily. Aber zumindest waren die beiden am Leben und versuchten, ihre Probleme zu lösen. Erst jetzt erkannte Leslie, wie sehr sie sich gefürchtet hatte, wieder eine Leiche zu sehen, für einen Augenblick tot zu sein.
    »Verschwinden hier oft Menschen?« fragte Leslie.
    »Ziemlich viele«, antwortete Patricia Ballantine, »aber die meisten gehören zu der Sorte, nach denen niemand sucht. Wenn ihr Verschwinden doch jemandem auffällt, heißt es meist nur: ›Gut, daß wir den los sind.‹ Kleinkriminelle. Obdachlose. Prostituierte. Leute, bei denen es keinen kümmert, ob sie leben oder sterben, weil sie für niemanden gut sind, am wenigsten für sich selbst. Wenn sie irgendwo tot in einer Gasse gefunden werden, treiben sie wenigstens die Verbrechensstatistik nicht weiter in die Höhe.«
    Ein kaltschnäuziger Standpunkt, aber wahrscheinlich unumgänglich, dachte Leslie. Es wäre sicher wenig hilfreich, wenn die Beamten sich emotional engagierten. Leslie bat die beiden, sie zu benachrichtigen, sobald sie den jungen Mann und seine Freundin gefunden hatten. Dann, ganz plötzlich, sah sie das Mädchen vor sich: Sommersprossen, zerzaustes Haar, Sportkleidung und Wanderschuhe. Leslie wehrte sich dagegen, wollte nichts weiter davon wissen. Die Polizei braucht einen Hubschrauber, um die beiden von dem Felssims zu retten, dachte sie noch, bevor sie den Gedanken entschlossen unterbrach. Es ging sie nichts an; sie wollte nichts damit zu tun haben. Wie konnte man diese Eindrücke bloß aussperren? Wenn Simon sie das lehren könnte, würde sie ihm die Füße küssen.
    Leslie wandte sich bereits zum Gehen, als ihr

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