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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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der leeren Höhle. Für einen ausgebildeten Willen ist nichts unmöglich, erklärte Simon. Leslie fragte ihn, ob er noch mehr Blutopfer brauche. Er klammerte sich an ihr fest. Ich hoffe nicht, o Gott, hoffentlich nicht, schrie er peinerfüllt auf … Aber ich muß tun, was ich tun muß, denn ich kann mich nicht geschlagen geben …
    »Leslie?« Sie fuhr vor seiner Stimme zurück, erkannte dann, daß alles nur ein weiterer Alptraum gewesen war und richtete sich auf. Sie sah Simon über sich, der sie aus seinen dunklen Augen besorgt anschaute.
    »Nur ein böser Traum«, flüsterte sie. »Gott sei Dank, es war nur ein Traum …«
    »Wahrscheinlich fängst du meine Alpträume auf. Meine Hand schmerzt höllisch. Ich stehe mal kurz auf und nehme eine von meinen Schlaftabletten. Möchtest du auch eine?«
    Leslie schüttelte den Kopf. Sie mißtraute Schlafmitteln, da sie wußte, daß sie den wichtigen REM-Schlaf unterbanden, so daß der Zustand, in den die Tabletten einen versetzten, eigentlich kein Schlaf war, sondern ein traumloser Abgrund … Vielleicht brauchte sie genau das, um die Alpträume loszuwerden. Nackt ging Simon ins Bad und kehrte mit einem Fläschchen in der Hand zurück.
    »Bist du sicher?«
    »Ganz sicher.« Sie beobachtete, wie er eine Tablette herausschüttelte. Mit welchem Recht hätte sie von ihm verlangen können, sich die Betäubung seines Schmerzes zu versagen? Er zögerte, schaute sie an und steckte dann achselzuckend die Pille zurück in die Flasche.
    »Eigentlich möchte ich lieber mit dir zusammen wach liegen«, erklärte er, kroch wieder ins Bett und streckte sich neben ihr aus.
    »Erzähl mir von dir«, forderte er sie auf. »Ein Talent wie Emily taucht nicht so einfach aus dem Nichts auf. Gab es in der Familie deiner Mutter oder deines Vaters Musiker?«
    Leslie berichtete ihm von ihrer schwedischen Großmutter, die den Schwestern die Harfe vererbt hatte. Sie erzählte, wie Emily als fünfjähriges Mädchen in Tränen ausgebrochen war, weil ihre Finger die Saiten nicht weit genug umspannten und sie die Musik, die sie gehört hatte, nicht nachspielen konnte. Simon wiederum erzählte ihr zum erstenmal von seiner Kindheit als unglücklicher, schwächlicher Knabe in einem Militärinternat, der sich ständig ins Krankenquartier geflüchtet hatte (ich war allergisch auf alles, berichtete er ihr, denn wenn ich krank war, ließ man mich in Ruhe, und ich konnte im Bett liegen, lesen und mir im Radio Musik anhören). Und dann hatte der kleine Simon das Klavierspiel entdeckt, das ihm noch mehr Freiheit vom verhaßten Alltag bescherte.
    Eine Zeitlang war er ein Poltergeist gewesen, und so hatte er auch Alison kennengelernt. Er hatte die Gitarrensaiten seines Zimmerkameraden zerspringen lassen, während das Instrument an der Wand hing. Daraufhin hatte seine Mutter ihn von der Schule genommen und Alison konsultiert. In der Folge hatte Alison ihn zu ihrem Schützling erkoren, und schließlich hatten sie als Kollegen zusammengearbeitet. Leslie mußte an Eileen denken, die bei einer Probe des Schulorchesters Geigensaiten gesprengt hatte.
    »Diesen Jungen habe ich wirklich gehaßt. Merkwürdig, auf seinen Namen kann ich mich nicht besinnen, aber an diese elende Gitarre erinnere ich mich. Der Bursche spielte nie etwas anderes als Hillbilly-Musik. Am liebsten hätte ich ihm die Gitarre auf dem Schädel zertrümmert! Mutter hatte mich in eine Militärschule gesteckt. Sie war der Meinung, eine Frau würde ihren Sohn verweiblichen und vielleicht einen Homosexuellen aus ihm machen, würde sie ihn allein erziehen«, erklärte er verächtlich. »Ich hätte ihr sagen können, daß diese Gefahr niemals bestand, und wenn doch, wäre ein Jungeninternat kaum der richtige Ort gewesen, um die Entwicklung solcher Neigungen zu verhindern. Ganz im Gegenteil.«
    »Dann ist dein Vater früh gestorben?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung«, erwiderte er und zuckte wegwerfend die Achseln. »Meine Mutter hat mich in dem Eindruck bestärkt, ich sei das Produkt einer Jungfernzeugung. Ich glaube, Alison wußte die Wahrheit, wollte sie mir aber nie verraten.«
    Simon klang zwar beiläufig, doch in seiner Stimme schwang so viel alter Schmerz, daß Leslie rasch das Thema wechselte.
    »Du warst ein Poltergeist? Unter meinen Patienten habe ich auch einen …«
    »Ein junges Mädchen, nehme ich an. Was dieses Phänomen angeht, kommen vier Mädchen auf einen Jungen. Liegt vielleicht daran, daß man Mädchen ermutigt, zu weinen und anderen

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