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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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und ihren Fortschritten. Doch als Susan in Leslies Büro saß, stellte sie eine merkwürdige Frage.
    »Leslie, glauben Sie, daß Träume etwas zu bedeuten haben?«
    Die junge Psychologin hatte nie an die Freudsche Heilslehre der Traumdeutung geglaubt, und noch weniger hielt sie von der übersteigerten Bedeutung, welche die New-Age-Psychologie der sogenannten »Traumarbeit« zumaß. Sie teilte die Meinung, daß Träume lediglich eine Manifestation des REM-Schlafes darstellten, eine Art Sortierfunktion, um das Bewußtsein von den Resten des Tages zu befreien. Gehirnstatik, während die Nervensynapsen knisterten und sich wieder aufluden. »Hatten Sie einen Traum, von dem Sie mir erzählen möchten, Susan?«
    »Ich habe von Chrissy geträumt«, antwortete ihre Patientin. »Sie war verschwunden. Jemand hatte sie gekidnappt. Und als ich sie wiederfand, konnte sie sprechen. ›Wo ist meine Mommy? Ich will zu meiner Mommy‹, hat sie gesagt.«
    Sie schwieg so lange, daß Leslie nachhakte. »Was glauben Sie, was dieser Traum bedeutet, Susan?«
    »Nun ja, ich habe natürlich schon früher geträumt, sie könnte reden. Ich weiß, daß es nur Wunschdenken war. Im Traum habe ich Chrissy so gesehen, wie ich sie mir wünschte. Aber diesmal war es anders. Deswegen habe ich Sie ja gefragt, ob Sie an Träume glauben. Ich hätte mich anders ausdrücken sollen. Meinen Sie, Träume können – wie hieß das Wort noch – präkognitiven Charakter haben? Die Zukunft voraussagen? Ich glaube nämlich, daß Chrissy lernen wird zu sprechen. Irgendwie war ich mir nach dem Traum sicher, daß es kein reines Wunschdenken ist. Das Gefühl war irgendwie … anders.«
    »Können Sie mir beschreiben, in welcher Hinsicht?«
    Vor einem Jahr hätte Leslie Susans Eindruck noch als »magisches Denken« abgetan, wie ihre Professoren es genannt hatten, wodurch Susan sich der Realität entzog, ihr Kind nicht erreichen zu können. Aber in den letzten Monaten hatte Leslie ein paar harte Lektionen zu diesem Thema gelernt. Hatte Susan sich wirklich eine Phantasievorstellung geschaffen, um die Wirklichkeit besser ignorieren zu können? Aber was war überhaupt Realität?
    »Glauben Sie immer noch an ein Wunder, Susan?«
    »An ein Wunder nicht«, antwortete Susan stockend und suchte nach den richtigen Worten. »Aber ich hoffe auf eine Art Durchbruch. In letzter Zeit scheint Chrissy mir besser zuzuhören und zu verstehen, was ich sage. Kürzlich zum Beispiel wurde es Zeit, sie zum Tagescamp zu fahren, und ich habe sie gebeten, mir ihre Jacke zu bringen. Statt dessen hat sie mir ihren Regenmantel geholt. Ich hatte nicht einmal bemerkt, daß es regnete, aber das Kind hat die Verbindung hergestellt.«
    »Sie meinen, Sie haben im Traum eine Schlußfolgerung gezogen, die Sie bewußt nicht in Worte zu fassen vermochten?«
    »Möglich. Ich habe Chrissys Sachen für das Camp gepackt, und zum erstenmal schien sie mitzubekommen, was geschah.«
    »Dann war es vielleicht gut, daß Sie noch keine unwiderrufliche Entscheidung getroffen haben«, bemerkte Leslie.
    »Chrissy scheint mich nicht zu erkennen, und wenn sie gar nicht mitbekommt, ob sie zu Hause ist oder anderswo, sollte ich vielleicht Margarets Rat befolgen und sie weggeben. Dann wäre es ja egal, ob sie in einem … Heim lebt oder nicht. Aber wenn sie weiß, wer ich bin … wenn sie bei mir sein möchte … Vielleicht spricht irgend etwas in Chrissy zu mir und will mir sagen, daß ich die Hoffnung noch nicht aufgeben soll.«
    So etwas könnte sich als gefährliche Illusion erweisen. Die Standarderklärung lautete, daß Susan nicht akzeptieren wollte, wie gering die Aussichten waren, daß Chrissys Zustand sich besserte. Leslie war unsicher. Deshalb wiederholte sie ein weiteres Mal, was sie während der Sitzungen mit Susan schon oft geäußert hatte.
    »Sie dürfen keine Entscheidung treffen, ehe Sie nicht genau wissen, daß Sie damit leben können. Bis Sie wissen, was das Beste für Sie und Chrissy ist.«
    Die Kuckucksuhr schlug.
    »Unsere Zeit ist um, Susan«, sagte Leslie gedankenversunken. Zumindest theoretisch bestand die Möglichkeit, daß Chrissys Geist eine von ihrem behinderten Körper unabhängige Existenz führte. Vielleicht hatte Christina Hamiltons gefangenes Bewußtsein auf diese Weise versucht, mit ihrer Mutter zu kommunizieren. Über einen Traum? Warum eigentlich nicht?
    Wenn das so weitergeht, dachte Leslie, kann ich meine Patienten ebensogut gleich mit Prophezeiungen behandeln, sie zu einem Astrologen

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